Kategorie: Entdeckungen im Waldsaum

  • Ein Tag im Netz

    Zu Besuch bei der Landesvereinigung Kulturelle Bildung Hessen e.V.

    Wer das Frankfurter Bahnhofsviertel kennt, denkt vermutlich nicht sofort an Orte der kulturellen Reflexion und Bildung. Und doch liegt genau hier, inmitten von urbaner Hektik und gesellschaftlichen Spannungsfeldern, eine der zentralen Institutionen für Kulturelle Bildung in Hessen: die Landesvereinigung Kulturelle Bildung Hessen e.V. (LKB).

    Die LKB wurde 2009 gegründet und versteht sich als überkonfessionelle, weltanschaulich und parteipolitisch unabhängige Interessenvertretung für Akteur:innen der Kulturellen Bildung. Sie ist ein Dachverband, der rund 70 Fachverbände, Institutionen, Vereine und Organisationen aus ganz Hessen vereint – von Museen über Theaterpädagog:innen bis hin zu Musikschulen und freien Künstler:innen.

    Selbst ist die LKB Mitgliedsorganisation der Bundesvereinigung für Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ).

    Plattform, Stimme, Ermöglicherin

    Die LKB ist weit mehr als ein klassischer Verband. Sie ist Plattform für AustauschStimme gegenüber Politik und VerwaltungImpulsgeberin für neue Projekte und Trägerin kultureller Freiwilligendienste. Ihr Leitbild gliedert sich in vier zentrale Dimensionen:

    Sichtbar machen und sichtbar sein

    Die LKB schafft Räume – analog wie digital – für interprofessionellen Austausch. In Arbeitsgruppen, Fachtagen und Austauschrunden kommen Akteur:innen aus unterschiedlichen Sparten zusammen, um voneinander zu lernen, gemeinsame Anliegen zu formulieren und neue Perspektiven zu entwickeln. Der Blick über den Tellerrand ist dabei ausdrücklich gewünscht – und notwendig.

    Stimme für das Akteursfeld

    Die LKB hört zu – und spricht. Sie sammelt Bedarfe, Herausforderungen und Visionen aus dem Feld der Kulturellen Bildung und trägt diese in politische Gremien, in die Verwaltung und in die Öffentlichkeit. Dabei versteht sie Kulturelle Bildung als Querschnittsaufgabe, die alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft – von Schule über Jugendhilfe bis hin zur Stadtentwicklung.

    Ermöglicherin und Beraterin

    Durch die Entwicklung landesweiter Modellprojekte wie dem Kulturkoffer Hessen oder LandKulturPerlen setzt die LKB Impulse für neue Formate und Förderstrukturen. Gleichzeitig bietet sie Beratung und Orientierung – etwa als Servicestelle für das Bundesprogramm „Kultur macht stark“ oder über die Plattform „Kulturberatung Hessen“, die sie gemeinsam mit dem Landesmusikrat betreibt.

    Engagement- und Nachwuchsförderin

    Als Trägerin kultureller Freiwilligendienste fördert die LKB bürgerschaftliches Engagement und ermöglicht jungen Menschen erste Schritte in der kulturellen Praxis. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Nachwuchsförderung – nicht nur im künstlerischen Bereich, sondern auch im Hinblick auf gesellschaftliche Teilhabe.

    All diese Aktivitäten zielen auf ein übergeordnetes Ziel: die Ermöglichung kultureller Teilhabe für alle Menschen in Hessen. Was mit dem Begriff der kulturellen Teilhabe gemeint ist, stellt die LKB Hessen in einem Video vor.

    Zwischen Kulturbetrieb und Schulbetrieb

    Im Gespräch mit Mitarbeiterinnen der LKB wurde deutlich: Die LKB ist ein Netzwerk – ein fein gesponnenes Netz, das Akteur:innen verbindet, Anliegen bündelt und Impulse setzt. Von der Seite der Kultur kommend, agiert sie an der Schnittstelle zwischen Kultur, Bildung und Politik und vertritt dabei die Anliegen ihrer Mitglieder. Ein Beispiel hierfür ist das Engagement der LKB in Bezug auf die Kulturelle Bildung im schulischen Ganztag: Als Vertreterin der Praxis der Kulturellen Bildung fordert sie:

    Der LKB Hessen greift die politische Debatte und Entwicklung zur flächendeckenden Ganztagsbetreuung in Schule auf und bringt im Interesse der Kunst- und Kulturschaffenden sie mögliche Kooperationspartner des Kulturellen Ganztags ins Spiel: Dabei geht es nicht nur um die Integration kultureller Angebote in den schulischen Alltag, sondern auch um eine strukturelle Öffnung von Schule hin zu außerschulischen Partner:innen.

    Für eine Kulturelle Bildungspraxis verfolgt die LKB Hessen drei zentrale Ziele:

    • Freie Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit
    • Kulturelle Teilhabe
    • Mitgestaltung der eigenen Lebens(um)welt

    Wie sehr sich die LKB Hessen hier als Interessensvertretung der Kunst- und Kulturszene engagiert, geht aus einem Papier hervor, dass sie im Rahmen einer von der GEW veranstalteten Tagung veröffentlicht hat. Hier schreibt die LKB eindeutig, dass die Konzeptionierung des schulischen Ganztags klar vom Interesse der Kinder und nicht aus arbeitsmarktpolitischem „Kalkül“ heraus gedacht werden solle. Dies funktioniere aber nur in der Verzahnung von schulischen mit außerschulischen Angeboten, womit sich die LKB eindeutig gegen mögliche Einflüsse von Wirtschaftsunternehmen in Schule und Bildung positioniert.

    Doch halt!

    Was unterscheidet eigentlich grundsätzlich den Kultur- vom Wirtschaftsbetrieb? Warum sollen arbeitsmarktpolitische Einflüsse so schlecht sein? So oder so: Es handelt es sich erstmal um äußere Einflüsse, die versuchen, in das fast schon hermetisch abgeschlossene System Schule hineinzukommen und ihre Ideale und Überzeugungen dort hineinzutragen. Fast schon könnte man meinen, sie wollten das Schulsystem infiltrieren.

    In dem Papier der GEW-Hessen fordert die LKB Hessen klar die fachliche Anerkennung der Expertise und feldspezifischen Zertifizierungen, die als Basis für eine Kooperation auf Augenhöhe mit fairer Vergütung und sicheren Rahmenbedingungen dient. Gemeint ist damit die Forderung, Akteure des außerschulischen Bildungsfeldes wie Musik-, Medien- und Museumspädagog:innen in der Gestaltung des schulischen Ganztags als den Lehrer:innen gleichwertig zu betrachten. Den außerschulischen Akteuren soll damit also pädagogische Expertise zugeschrieben werden, die der der ausgebildeten Lehrkräfte ähnlich ist.

    In meiner beruflichen Tätigkeit habe ich viele Projekte mit außerschulischen Partnern umgesetzt: Von der Hochschule über das Museum bis hin zum freischaffenden Künstler war alles dabei. Und doch habe ich jedes Mal feststellen müssen, dass die schulischen Abläufe, Regeln, Bedingungen und Vorgaben viele nicht-schulische Akteure vor eine große Herausforderung stellen, der sie mal besser, mal schlechter begegnen. In Bezug auf den schulischen Bildungssektor bleibt für mich fraglich, ob hier wirklich eine vergleichbare Qualifikation und Expertise vorliegt.

    Zudem spüre ich persönlich etwas Unbehagen in meiner Funktion als Lehrer, der mit Musik ein künstlerisches Lehramt studiert und darüber hinaus zwei weitere künstlerische Abschlüsse in Chor- und Orchesterleitung hat und im individuellen wie professionellen Interesse zurzeit berufsbegleitend einen Master in „Kulturelle Bildung an Schulen“ macht, wenn gute Kulturelle Bildung nur von „künstlerischem“ Personal geleistet werden können soll – zu dem ich (weil ich als Lehrer und nicht als Künstler arbeite) offiziell nicht zähle. Warum soll nicht auch sich selbst gute Kulturelle Bildung in Schule ermöglichen? – Vielleicht kann ich es ja durch meine diverse Schnittstellenprofessionalität sogar besser!?

    Ich frage mich, …

    • … ob der (durchaus auch arbeitsmarktpolitische) Sektor der Kulturellen Bildung mit anderen Interessensgruppen darum konkurriert, die eigenen Ideen und Vorstellungen in schulischer Bildung zu verorten?
    • … ob gute Kulturelle Bildung nicht auch ohne den außerschulischen Sektor funktionieren kann?
    • … wie sich Schule verändern könnte, wenn es der LKB gelinge, einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen und das fast schon hermetisch abgeschlossene und zweifelsohne überholte Schulsystem zu „infiltrieren“.

    Die Hoffnung bleibt!

    Die LKB ist kein Dienstleister der Bildungspolitik – und will es auch nicht sein. Doch sie ist eine kraftvolle Impulsgeberin, die mit klarem Kompass und großer Vernetzungsstärke agiert. Vielleicht gelingt es ihr, über den Kulturellen Ganztag auch in den Unterricht hineinzuwirken – und so das System Schule von außen zu verändern. Es bleibt jedoch schwer, einen solchen Wandel nur von einer Seite herbeizuführen. Doch auch da hat das Netzwerk der LKB Partner wie den BMU (Bundesverband Musikunterricht), der näher an der schulischen Bildungspolitik und damit auch der Lehramtsausbildung ist.

    Die Hoffnung bleibt also, dass sich das Netz weiter ausbreitet, dass Schule sich öffnet – und dass Kulturelle Bildung nicht länger ein Randthema bleibt, sondern zum selbstverständlichen Bestandteil guter Bildung wird. Und die Landesvereinigung Kulturelle Bildung Hessen e.V. kann hier durch ihre starkes Netzwerk und ihre Kontakte in die Kultur-, Bildungs- und Politiklandschaft einen wesentlichen Beitrag leisten.

    Und obwohl die LKB Hessen in meinem beruflichen Alltag als Lehrer vielleicht eine eher untergeordnete Rolle spielen mag, ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass es mit ihr ein starkes Netzwerk gibt, das im Kern die gleichen Ziele verfolgt – nur eben von einer anderen Seite aus. Und vielleicht mag genau darin die große Stärke liegen: das System Schule von verschiedenen Seiten und Richtungen aus zu verändern.

  • Ein Tag „Unter Pflanzen“

    Zu Gast im Museum Sinclair-Haus Bad Homburg

    In dieser Woche durfte ich eine kleine Reise nach Bad Homburg unternehmen. Mein Ziel: Das Museum Sinclair-Haus der Stiftung Kunst und Natur. Idyllisch zwischen der neo-romanischen Erlöserkirche und dem Schloss Bad Homburg an der Ecke Löwengasse/Dorotheenstraße liegt das 1708 als Wohnhaus für den Regierungsrat Hessen-Homburgs, Geschichtsforscher und Entdecker des Römerkastells Saalburg Elias Neuhof (1724-1799) gebaute Ausstellungshaus. Vom Unternehmer Herbert Quandt 1978 vor dem Abriss gerettet und von der Altana AG erworben, wurde es aufwändig restauriert und schließlich nach Isaac von Sinclair (1755-1815), einem in Bad Homburg geboren und eng mit dem Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) befreundeten Schriftsteller und Diplomaten, benannt. Seit 1982 widmet sich das Museum in wechselnden Ausstellungen inter-/nationaler Kunst des 20./21. Jahrhunderts zum Schwerpunktthema „Natur“. 2017 wurde das Museum Teil der seit 2021 unter dem Namen „Stiftung Kunst und Natur“ firmierenden Stiftung der Unternehmerin Susanne Klatten.

    Am Morgen: auf Erkundungstour durch das Museum

    Zu Beginn des Tages durfte ich mich alleine im leeren – weil für den Publikumsverkehr noch nicht geöffneten – Museum umschauen. Allein das war für mich ein besonderes Erlebnis. Die aktuelle Ausstellung heißt „Unter Pflanzen“. Sie lädt dazu ein, langsam zu werden, den Pflanzen zu begegnen, ihnen zu lauschen. Sie regt dazu an zu reflektieren, dass wir ständig unter Pflanzen sind: Wir essen sie, wir sehen sie, wie spüren sie, wir riechen sie – wir sind mit ihnen verbunden, und doch manchmal so entfremdet. Die ausgestellten Werke und Installationen zeigen Pflanzen als lebendige, wahrnehmende Wesen, die unzhlige Verbindungen eingehen: Manche Werke erforschen den Einfluss der Pflanzen auf menschliche Kulturen, andere entwerfen Pflanzen-Menschen-Hybride und erkunden, wie nah oder fern wir uns eigentlich sind. Bei der Ausstellung handelt es sich um eine Kooperation zwischen dem Museum Sinclair-Haus und dem von Yvonne Volkart geleiteten Forschungsprojekt „Plants_Intelligence. Learning Like a Plant“, das am Institut „Kunst Gender Natur“ der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW verortet und vom Schweizerischen Nationalfonds finaniziert ist.

    Besonders beeindruckend finde ich die Darstellung der Amarant-Pflanze, an der ich lange stehen bleibe: Irgendwie kann ich mich nicht des Gedankens erwehren, dass sie der von Johann Wolfgang von Goethe beschriebenen „Urpflanze“ sehr ähnelt. Und sogleich kommt mir Goethes „Metamorphose der Pflanze“ in den Kopf – ein Text, der mich den Tag über und beim Schreiben dieses Blogbeitrags noch begleitet.

    Erstellt mit KI
    Quelle: Microsoft Copilot

    Kristine Preuß, die Leiterin der Kunstvermittlung gab mir im Gespräch Einblicke in die Struktur des Hauses und die pädagogische Arbeit: Wir sprachen über die Struktur der Stiftung und wie sich der Wandel von der fördernden Altana-Stiftung hin zur operativen Stiftung Kunst und Natur auf die Vernetzung und Zusammenarbeit mit Schulen auswirkt. Konnten zuvor noch echte Patenschaften zwischen dem Museum und den umliegenden Grund- und weiterführenden Schulen gepflegt werden, konzentriert sich das Haus nun zunehmend auf die eigenen Angebote und hat weniger Möglichkeiten, langfristige schulische Bildungsprojekte zu begleiten.

    Mit dieser strukturellen Veränderung ging auch eine strategische Neuausrichtung einher: Aus dem aufsuchenden Museum wurde zunehmend ein einladendes Haus.

    Entsprechend veranstaltet das Museum neben den Wechselausstellungen auch Workshops für Kindergarten- und Schulkinder, Freiluftateliers, Führungen und Gesprächsrunden, philosophische Streifzüge, Lesungen, Tanzvorführungen, Rollenspiele, Kurse zum kreativen Gestalten und vieles mehr. Außerdem gibt das Museum zu jeder Ausstellung das hauseigene Ideenheft „Blattwerke“ heraus und produziert den Podcast „Art’n’Vielfat – Der Podcast für Kunst und Natur“.  Für so ein kleines Haus mit nur wenigen Mitarbeitenden empfinde ich das Angebot als breit und divers und im stetigen Wandel stehend: eben so, wie die Hauptakteure des Museums, die Pflanzen, selbst. Dabei schottet sich das Museum durch seine Vermittlungsabteilung aber nicht von seiner Außenwelt ab: Vielmehr agiert es kreativ in dem Spannungsfeld zwischen einladend und aufsuchend, indem es zwar eigene Formate entwickelt, konzipiert und realisiert. Genauso gehen die Mitarbeiter:innen aber – im konkreten Fall dieses Workshoptages – in das Wohnheim der Kinder, bewirbt das Angebot dort und holt sie dort auch ab – um sie zu sich ins Museum zu führen.

    Aufsuchend bedeutet im Bereich der Kulturellen Bildung, dass Bildungs- und Kulturinstitutionen aktiv auf Menschen zugehen – insbesondere auf solche, die sonst schwer Zugang zu kulturellen Angeboten finden. Dies kann durch mobile Formate, Kooperationen mit Schulen, sozialen Einrichtungen oder durch Projekte im öffentlichen Raum geschehen. Ziel ist es, Teilhabe zu ermöglichen und Schwellen abzubauen.

    Einladend beschreibt eine Haltung und Gestaltung kultureller Bildungsangebote, die Menschen ermutigt, freiwillig teilzunehmen. Dies zeigt sich z. B. in einer offenen Atmosphäre, barrierearmen Zugängen, diversitätssensibler Kommunikation und partizipativen Methoden. Einladende Angebote schaffen Räume, in denen sich Menschen willkommen, gesehen und angesprochen fühlen.

    Am Mittag: ästhetische Erfahrungen zwischen Kunst und Natur – drei Workshops für eine Gruppe geflüchteter Kinder

    Am Mittag wurde Kristine Preuß von ihrer Mitarbeitern Ann-Cathrin Agethen und einer weiteren freien Mitarbeiterin bei der Durchführung dreier Workshops für eine Gruppe geflüchteter Kinder unterstütz. Insgesamt durften die Kinder in drei Formaten ästhetische Erfahrungen zum Thema Natur machen, indem sie sich der Natur ganz spielerisch und kreativ-bildend durch Anähnelung, Verarbeitung und Erschaffung genähert haben.

    Workshop #1: Reproduktion der Natur als Kunst – Blätter aus Ton

    Bei diesem Workshop durften die Kinder Blätter in ihren verschiedenen Formen erkunden, indem sie sie mit Ton nachgebildet haben. Am Ende sollte dadurch in kooperativer Weise ein Mobile entstehen, das die Kinder in ihre Flüchtlingsunterkunft mitnehmen durften. Es war toll, die Kinder dabei zu beobachten, wie akribisch sie versuchten, die Natur nachzubilden. Und zugleich war es ergreifend, als eines der Kinder sagte, dass man es irgendwie nicht so perfekt wie die Natur hinbekomme.

    Mir stellte sich dann sofort die Frage, ob das unser Anspruch sein soll und kann: die Natur perfekt ab- und nachbilden? In der Ausstellung ging es ja auch nicht (immer) darum, die Natur perfekt wiederzugeben. Der künstlerische Umgang ermöglicht ja gerade, von vorgegebenen Mustern abzuweichen, eigene Schwerpunkte zu setzen und auch zu verfremden, um die eigene Perspektive zu verdeutlichen. Gerade darin besteht doch das große Potenzial künstlerischer Forschung: den subjektiven Eindruck zum Ausdruck zu machen. Vielleicht ist die ästhetische Forschung hier dem künstlerischen Impressionismus sehr nahe?

    Ein anderes Kind sagte übrigens dazu, dass sie das auch gar nicht perfekt machen müssten – sie seien ja schließlich Kinder. Auch dieser Satz hat mich nachdenken lassen, denn warum muss man denn nur als Kind nicht perfekt sein? Ich wünsche mir, das auch als Erwachsener nicht sein zu müssen – und doch spürt man in der sich stetig ökonomisierenden Welt, dass Funktionalität (und das heißt nichts anderes als systemische Perfektion) zu einem gesellschaftlichen Anspruch geworden ist. Dabei sind es doch gerade die unperfekten Dinge, die uns im Leben zum Lachen, Weinen, Staunen und Nachdenken – schlicht zum Denken – bringen.

    Wir sollten versuchen, das Unperfekte, das Besondere wieder zuzulassen. So kommen wir wieder ins Staunen. So gelingt es uns wieder, uns mit uns selbst, den Menschen und der Natur zu vernetzen.

    Beschwingt und mit einem großen Grinsen verlasse ich den Raum, als ich sehe, dass ein Junge lieber eine Pizza statt eines Blattes aus dem Ton geformt hat: Hier hat sich jemand über gesellschaftliche Vorgaben hinweggesetzt und in seiner eigenen Freiheit dem nachgespürt, was ihn gerade jetzt beschäftigt.

    aus:
    Johann Wolfgang von Goethe: Die Metamorphose der Pflanzen

    Workshop #2: Kreation mit Natur als Kunst – Gemälde aus Pflanzenfarben

    Im zweiten Workshop durften die Kinder aus selbst hergestellten Pflanzenfarben Gemälde anfertigen. Dazu wurden Blüten, Samen, Beeren, Früchte, Pulver und vieles mehr in Wasser, Laugen und Kleister aufgelöst. Sogar Rindenschnitzel wurden ausgekocht. Beeindruckend war, wie kräftig so manche Farbe war.

    Mir kam sofort die Idee, das mit dem Deutschunterricht zu verknüpfen: Welch schöner und ganzheitlicher Zugang wäre es, diese Art der Verarbeitung der Pflanze in Form von kleinen Gedichten zu versprachlichen und so schöne lyrische Schmuckblätter zu produzieren. Die Pflanze, die inhaltlich im Fokus steht, könnte sowohl sprachlich als auch gestalterisch erforscht werden. Ja selbst der Prozess der Farbherstellung könnte dichterisch verarbeitet werden: Warum färben Blaubeeren so viel kräftiger als Lindenrinde? Oder warum benötigt Lindenrinde, um ihre Kraft zu entfalten, von außen zugesetzter Energie in Form von heißem Wasser? Was haben die Pflanzen bereits erlebt, das sie nun freigeben?

    Womit ich gar nicht gerechnet habe ist, dass durch die Verwendung von Pflanzenfarben nicht nur visuelle, sondern auch olfaktorische Gemälde entstanden sind: Bislang habe ich noch nie an einem Bild gerochen. Doch diese Bilder können riechen. Die Kinder haben etwas geschafft, über das ich zuvor noch nie nachgedacht habe: echte synästhetische Kunst.

    Und zugleich wird mir bewusst, dass diese Kunst auch sehr vergänglich sein wird, denn ohne Konservierungsstoffe werden diese Bilder mit der Zeit verbleichen und vielleicht sogar anfangen zu faulen. Aber auch das scheint mir eine befreiende Gegenbewegung zur konservatorischen Behandlung unserer „hochkulturellen“ Kunst zu sein: Gehen und vergehen ist das Natürlichste auf der Welt – es ist der Kreislauf des Lebens. Und doch halten wir Menschen gerne an dem fest, was uns etwas bedeutet. Wir lassen es nicht los, weil wir es bewahren wollen.

    aus:
    Johann Wolfgang von Goethe: Die Metamorphose der Pflanzen

    Workshop #3: Produktion von Natur als Kunst – Pflanzen einer Sonnenblume

    Der letzte Workshop bestand darin, die Ausstellung zu erkunden und in die Welt der Pflanzen – und dem, was unter ihnen ist und wir für gewöhnlich nicht sehen – zu erkunden. Anschließend haben die Kinder zusammen Sonnenblumen gepflanzt. Eigentlich ist das ja keine schwierige Angelegenheit, einen Samen in die Erde zu stecken und vorsichtig anzugießen. Doch glaube ich, mehr als das gesehen zu haben: Spannend waren dabei nämlich die Gespräche zwischen den Kindern, die wieder aus unserem Muster ausbrachen und die Sonnenblumenkerne aßen. Das Bild, das sich ergeben hat, empfand ich selbst als sehr poetisch: Zwar sind die Samen zunächst in isolierten Pflanzschalen, um in einem geschützten Raum keimen zu können. Doch sehr bald werden sie gemeinsam eingepflanzt werden können. Und so wird aus zarten Einzelgängern mit viele Liebe und Pflege später mal eine starke Gemeinschaft werden.

    aus:
    Johann Wolfgang von Goethe: Die Metamorphose der Pflanzen

    Inspiriert von der Natur, der wohl größten Gemeinschaft unserer Welt, fanden diese Kinder zu sich und tauschten sich aus. Sie waren unter sich – und „Unter Pflanzen“.

    Am Nachmittag: raus in die Natur! – das Freiluftatelier vor dem Bad Homburger Bahnhof

    Am Nachmittag besuchte ich das Freiluftatelier des Museums am Bad Homburger Bahnhof. Das Freiluftatelier ist eine Aktion des Museums, die von Mai bis September jeden Mittwoch von 15-18 Uhr am Bahnhof in Bad Homburg zu finden ist. Dort bieten zwei bis drei freiberufliche Künstler:innen Bastelworkshops zu verschiedenen Themen an: Farbe aus Pflanzen herstellen und damit malen, zeichnen oder färben, Fantasiepflanzen bauen und drucken, Pflanzenkostüme entwerfen, grüne Städte erdenken, von Pflanzenträumen schreiben, mit dem Sonnenlicht fotografieren und andere Experimente.

    Nicht zu verfehlen war zwischen zwei gelben Flaggen eine Bierzeltgarnitur und mehrere kleine Tische und Stühle aufgebaut. Darauf lagen alle möglichen Bastel- und Naturmaterialien.

    Ab 15 Uhr kamen Kinder mit ihren Eltern vorbei, und bastelten dort das, worauf sie gerade Lust hatten: Entstanden sind Collagen aus Blättern, Zauberstäbe, Haarspangen und „Fascinator“.

    Ich empfand es als unglaublich befriedigend, den Kindern und Jugendlichen dabei zuzuschauen, wie sie aus den Naturmaterialien die fantasievollsten Gegenstände gestalteten.

    Was bleibt von diesem Tag?

    Ich fand diesen Tag unglaublich beeindruckend. Ich habe so vieles gesehen und gehört, das mich auch noch Tage danach begleitet und beschäftigt. Was genau mir von diesem Tag bleibt, vermag ich heute noch nicht zu sagen. Vielleicht muss ich das aber auch nicht: Vielleicht ist es gut, wenn meine Gedanken noch ein wenig als lose Fäden in meinem Netz umherwandern und ich ihnen jene Freiheit erlaube, die ich an diesem besonderen Tag bei den Kindern mit Freude beobachtet habe.

    Wie schön wäre es, wenn Kinder in Schule und Unterricht genau so unbefangen und frei lernen könnten, wie diese Gruppe es nun erleben durfte.

    Wie schön wäre es, wenn wir uns mehr an der Natur und ihrer Entwicklung orientieren würden und den Kindern ermöglichten, sich wie ein Blatt zu entfalten.

    Für uns als Lehrkräfte bedeutet das aber auch eine veränderte Rolle und Aufgabe.

  • Kreativität trifft Kompetenz

    Ein Tag zwischen Bühne, Beratung und Bildung

    Wie viel Bühne steckt im Unterricht?
    Wie bewertet man Kreativität fair?
    Und was passiert, wenn Schüler:innen ihre eigene Welt auf die Bühne bringen?


    Diese Fragen begleiteten mich an einem Tag voller Eindrücke, Inspirationen und fachlicher Tiefe – bei der regionalen Fachberaterin für Darstellendes Spiel in Rheinland-Pfalz und im Schulfach Kultur am Geschwister-Scholl-Gymnasium Daun.

    Vormittag: Wo Unterricht zur Inszenierung wird

    Der Tag begann mit einem Blick hinter die Kulissen der Fachberatung Darstellendes Spiel. Schon beim ersten Gespräch wurde klar: Hier geht es nicht nur um Theater – es geht um Ausdruck, Haltung, Präsenz und die Kunst, Lernprozesse sichtbar zu machen.

    Besonders spannend war der Einblick in das mündliche Abitur im Fach Darstellendes Spiel. Prüfungsformate wie szenische Gruppenarbeiten, performative Monologe oder interaktive Präsentationen zeigen, wie vielfältig und anspruchsvoll dieses Fach ist. Doch wie bewertet man eine Performance? Wie unterscheidet man zwischen künstlerischer Freiheit und prüfungsrelevanter Leistung?

    Die Antwort: mit einem mehrdimensionalen Bewertungskonzept, das nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Weg dorthin würdigt. Kreativität wird hier nicht als Zufallsprodukt verstanden, sondern als kompetenzorientierter Prozess, der planbar, reflektierbar und entwickelbar ist. Bewertet werden unter anderem:

    • Körperlicher und stimmlicher Ausdruck
    • Gestalterische Entscheidungen
    • Kooperationsfähigkeit
    • Reflexionskompetenz

    Ein Highlight war die Vorstellung von Unterrichtsreihen, die sich wie Dramaturgien entfalten: vom Warm-up über Improvisation bis hin zur Inszenierung. Besonders eindrucksvoll: eine Sequenz zur „körperlichen Präsenz im Raum“, bei der Schüler:innen lernen, mit Spannung, Blickführung und Raumwegen zu arbeiten – ganz ohne Worte, aber mit maximaler Wirkung.

    Vormittag: Wo Unterricht zur Inszenierung wird

    In einer kollegialen Fallberatung wurde ein reales Unterrichtsproblem diskutiert: mangelnde Beteiligung einzelner Schüler:innen in Gruppenprozessen. Was folgte, war ein Paradebeispiel für professionelle Zusammenarbeit: Hypothesen wurden gesammelt, Perspektiven gewechselt, kreative Lösungen entwickelt – von Rollenrotation über gezielte Aktivierungsübungen bis hin zu Feedbackmethoden mit Videoanalyse.

    Diese Form der Beratung war nicht nur praxisnah, sondern auch ein starkes Plädoyer für kollektive Unterrichtsentwicklung: gemeinsam denken, gemeinsam wachsen.

    Nachmittag: Kulturunterricht am GSG Daun – Bühne der Persönlichkeiten

    Am Nachmittag wechselte ich die Perspektive – von der Beratung in den Unterricht. Im Schulfach Kultur der Orientierungsstufe am GSG Daun wurde ich Zeuge eines Unterrichts, der mehr war als nur Fachvermittlung: Er war ein Raum für Selbstentfaltung.

    Das Thema der Stunde: „Meine Welt – meine Bühne“. Die Schüler:innen entwickelten kurze Szenen, in denen sie persönliche Erlebnisse, Träume oder Konflikte performativ umsetzten. Die Bühne wurde zum Spiegel ihrer Innenwelt – mal leise, mal laut, mal nachdenklich, mal humorvoll. Was mich besonders beeindruckte: die wertschätzende und differenzierte Rückmeldung der Lehrkraft. Statt Noten gab es Feedback zu Ausdruck, Klarheit, Kreativität und Teamarbeit. Die Schülerinnen führten Lerntagebücher, reflektierten ihre Entwicklung und wurden so zu aktiven Gestalterinnen ihres Lernprozesses.

    Ein Tag voller Impulse – und ein Plädoyer für mehr Bühne im Schulalltag

    Dieser Tag hat mir gezeigt, wie kraftvoll kulturelle Bildung sein kann – wenn sie ernst genommen, professionell begleitet und kreativ gestaltet wird. Ob im Abitur oder in der Orientierungsstufe: Darstellendes Spiel und Kultur sind keine „Nebenfächer“, sondern Räume für Persönlichkeitsbildung, Ausdruck und soziale Kompetenz.

    Ich nehme viele Impulse mit – für meinen eigenen Unterricht, für die kollegiale Zusammenarbeit und für die Frage, wie wir Schule als Ort der Entfaltung gestalten können.