Kategorie: Kulturelle Schulentwicklung

  • Tagging als Schulentwicklungsstrategie

    Wie man vorhandene Kulturelle Bildung sichtbar und Unbeteiligte zu Akteur:innen macht

    Seit fast drei Jahren versuche ich täglich, meine Schule auf den Weg der Kulturellen Bildung zu bringen und sie zu einer KulturSchule zu machen. Das ist aber nicht so leicht, denn immer wieder stoße ich mit meiner Idee, Kulturelle Bildung als Schulentwicklungsimpuls zu denken, auf Beschwichtigung oder leise Ablehnung.

    Fast wären diese Haltungen für mich nachvollziehbar, wenn man sich das Profil der Schule ansieht:

    • Schule mit Schwerpunkt Musik
    • IB World School mit dem International Baccalaureate Diploma Programme
    • Fremdsprachenvielfalt (Französisch, Latein, Japanisch, Russisch) mit Schwerpunkt Englisch und Bilingualem Unterricht
    • Austauschprogramme (Indien, UK, Frankreich, Japan)
    • Schullandheim
    • Soziales Lernen
    • Medienbildung
    • Umweltschule
    • Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage
    • Begabtenförderung

    Und kultur.forscher!“-Schule sind wir auch. Doch leider wird auch dieser Profilbaustein von vielen nur als Plakette im Schulflur wahrgenommen. Was aus der Netzwerkteilnahme konkret entsteht, bleibt oft unsichtbar. Die kulturelle Bildung wirkt – aber sie wird nicht als solche erkannt.

    Und so entsteht durch diese Vielfalt eine gewisse Profilmüdigkeit: Die Sorge wächst, dass das eigentliche Profil der Schule im Wust der Angebote verloren geht und Diversität zu Beliebigkeit wird – wir uns als Schulgemeinde verlieren, weil jede:r in eine andere Richtung läuft.

    EIN KLEINER MOMENT MIT GROSSER WIRKUNG

    Beim Seminar zur kulturellen Schulentwicklung in Wolfenbüttel hielt Axel Watzke von der Berliner Agentur anschlaege.de einen Vortrag mit dem schönen Titel „Regelmäßiger Unsinn hat normative Kräfte“ und berichtete dabei über eine seiner Aktionen: Mit einer Supermarktetikettiermaschine zog er durch Hamburg und versah Passant:innen mit dem Logo von Kampnagel – einem renommierten Produktionshaus für zeitgenössische darstellende Künste. Eine subversive Geste, ein performativer Eingriff in den öffentlichen Raum. Kultur wurde nicht beworben, sondern verliehen. Nicht durch Teilnahme, sondern durch Tagging. Auf einmal gehörte jede:r Passant:in zu Kampnagel.

    Das hat sich mir eingebrannt. Denn sie berührt einen Punkt, der mich in meiner schulischen Praxis beschäftigt: 

    Wie kann kulturelle Schulentwicklung gelingen, wenn die Schule bereits ein reichhaltiges Profil hat? 

    Wenn es scheinbar keinen Platz mehr für „noch ein weiteres Projekt“ gibt? Wenn kulturelle Bildung als zusätzlicher Baustein und sogar als Belastung wahrgenommen wird? Wenn Kolleg:innen sich nicht auf Neues einlassen wollen? Wenn Kulturelle Bildung als optionales Angebot verstanden wird, das man aus arbeitsökonomischen Gründen auch ablehnen kann? Meine Antwort: 

    Wir müssen nicht mehr tun. Wir müssen teilweise noch nicht mal was anders tun. Wir müssen nur anders hinschauen.

    KULTURELLE BILDUNG ALS CONTAINERBEGRIFF – (M)EINE CHANCE FÜR EINE KULTURELLE SCHULENTWICKLUNG

    Der Begriff „Kulturelle Bildung“ ist ein sogenannter Containerbegriff – weit, offen, vieldeutig. Er umfasst ästhetische Praxis ebenso wie kulturelle Teilhabe, kreative Gestaltung ebenso wie gesellschaftliche Reflexion. Diese begriffliche Offenheit wird oft als Herausforderung gesehen, doch in meinem Entwicklungsvorhaben ist sie eine Stärke: Denn gerade weil Kulturelle Bildung nicht auf eine bestimmte Methode, ein bestimmtes Fach oder eine bestimmte Zielgruppe festgelegt ist, kann ich sie als verbindendes Label nutzen:

    • für Projekte im Musikunterricht ebenso wie für Peer-Education-Initiativen,
    • für Mediengestaltung ebenso wie für interkulturelle Begegnungen,
    • für forschendes Lernen ebenso wie für performative Formate.

    Das Tag Kulturelle Bildung erlaubt es, Vielfalt zu bündeln, ohne sie zu vereinheitlichen. Es schafft einen gemeinsamen Rahmen, ohne die Eigenständigkeit der einzelnen Aktivitäten zu beschneiden. So wird aus einem Containerbegriff ein Gestaltungsbegriff – und aus einem Etikett ein Entwicklungsmotor. Und zugleich hilft es Kolleg:innen und Schüler:innen zu erkennen, was Kulturelle Bildung ist und sein kann und sich ein Bild davon zu machen.

    KULTURELLE BILDUNG IST KEIN WEITERER BAUSTEIN – SIE IST DAS MYZEL IM WURZELRAUM DER SCHULE

    Das heißt: Kulturelle Bildung ist nicht ein weiterer Baustein im Schulprofil. Sie ist das unterirdische Myzel, das die vielen Wurzelstränge unserer Schule miteinander verbindet. Wenn die Werte und Überzeugungen die tiefen Wurzeln unserer schulischen Identität bilden, dann sind die einzelnen Angebote – Musik, Sprachen, Soziales, Naturwissenschaften, Austauschprogramme, Umweltbildung, Kultur.Forscher!, Medienbildung – die Wurzelstränge, die sich in verschiedene Richtungen ausbreiten.

    Doch zurzeit wachsen diese Stränge oft isoliert nebeneinanderher, manchmal sogar gegeneinander. Was fehlt, ist ein verbindendes, nährendes Netzwerk – ein Myzel, das den Austausch ermöglicht, Ressourcen verteilt und die Wurzeln in Beziehung zueinander setzt. Kulturelle Bildung kann genau dieses Myzel sei, das Verbindungen schafft, gegenseitiges Verständnis fördert und die Schule als lebendiges Ökosystem gedeihen lässt.

    Das Beste daran: Keine Wurzel muss gekappt oder umgepflanzt werden. Die Vielfalt bleibt erhalten – wird aber nicht mehr als (konkurrierende) Beliebigkeit wahrgenommen, sondern als vernetztes Ganzes, das gemeinsam trägt und wächst.

    TAGGING ALS STRATEGIE DER KULTURELLEN SCHULENTWICKLUNG

    Hier setzt meine Idee an: Tagging als subtile, aber wirksame Form der Schulentwicklung. So wie Axel Watzke mit seiner Etikettiermaschine Kultur im Stadtraum sichtbar gemacht und zuvor unbeteiligte Passant:innen in Akteur:innen verwandelt hat, können wir mit einem gemeinsamen Label – einem Tag – Kulturelle Bildung im schulischen Raum sichtbar machen. Tagging bedeutet in diesem Zusammenhang: Wir versehen bestehende Aktivitäten mit dem Label Kulturelle Bildung. Nicht als kosmetische Maßnahme, sondern als Akt der Anerkennung und Kontextualisierung. Wir machen sichtbar, was ohnehin schon da ist – und schaffen dadurch ein neues Bewusstsein für das kulturelle Potenzial unserer Schule. Die zuvor isolierten Aktivitäten, Aktionen und Maßnahmen erhalten einen gemeinsamen Bedeutungsrahmen. Framing wird so zum Werkzeug: Es verbindet, wertet auf und macht Zusammenhänge erfahrbar. Tagging ist damit eine niedrigschwellige Form der Schulentwicklung. Es erfordert keine neuen Ressourcen, keine strukturellen Umstellungen, kein anderes Verhalten – sondern lediglich einen Perspektivwechsel. Es schafft Sichtbarkeit und Anerkennung, ohne zu überfordern. Und es gibt uns einen Begriff, mit dem wir das, was wir tun, begreifen können.

    Tag, das (Substantiv, Neutrum)

    • Markierungselement von Beschreibungssprachen (z. B. HTML) zur Strukturierung der Dokumente
    • [Geheim]zeichen eines Graffitikünstlers, einer Graffitikünstlerin
    Quelle: duden.de

    Gleichzeitig macht Tagging unsere Arbeit anschlussfähig – an Förderprogramme, Netzwerke, Diskurse. Es erlaubt uns, Kulturelle Bildung als Querschnittsthema zu denken, das sich durch viele Bereiche zieht: Unterricht, Projekte, Kooperationen, Schulkultur.

    Und das – leider oder zum Glück – vielleicht wirkungsvollste Argument: Die Kolleg:innen müssen im Grunde nichts anders machen als vorher. Sie müssen nichts umstellen, sich auf nichts Neues einlassen. Genau das sind oft die Sorgen, die Schulentwicklung lähmen und über Jahrzehnte hinweg verzögern. Doch hier liegt die Stärke des Taggings: Der Unterricht bleibt (erstmal) derselbe – aber er bekommt einen neuen Rahmen, einen kulturellen Mehrwert. Die Kolleg:innen müssten dafür nicht einmal ihr Bewusstsein verändern. Es reicht zuzulassen, dass ihr Unterricht diesen „Nebeneffekt“ hat. Und dieser Nebeneffekt wertet ihren Unterricht auf. Ich bin überzeugt: Wenn ausreichend Etiketten verteilt wurden, lässt sich das Thema nicht mehr ignorieren. Es wird sich – heimlich, still und leise – in den Berufsalltag einschleichen, ohne dass man es aktiv bemerkt hätte. Ohne dass man etwas verändern musste.

    THEMEN KAPERN UND (RE-)FRAMEN

    Indem bestehende schulische Aktivitäten unter dem Label der Kulturellen Bildung sichtbar gemacht werden, erhalten sie einen neuen Bedeutungsrahmen. So lassen sich auch bereits etablierte Themen gezielt „kapern“ (auch ein Begriff, den Axel Watzke in diesem Zusammenhang erwähnt hat) und die ästhetisch-kulturelle Komponente hervorheben. Dieses Framing verändert die Wahrnehmung: Ein Projekt wird nicht nur als fachliche Leistung verstanden, sondern als Ausdruck kultureller Teilhabe und kreativer Selbstwirksamkeit.

    Tagging wird damit zu einem wirkungsvollen Werkzeug der Schulentwicklung: Es schafft Anerkennung, setzt Impulse, stiftet Verbindungen und verortet pädagogisches Handeln in einem erweiterten kulturellen Horizont. Und genau darin liegt ein großes Potenzial – denn mithilfe des „Frames“ Kulturelle Bildung könnten auch andere Aktivitäten und Profilbausteine unserer Schule in einen gemeinsamen Zusammenhang bzw. „Rahmen“ gebracht werden. So entstünde ein harmonisches Ganzes, das die Vielfalt unserer Schule nicht nivelliert, sondern als Stärke hervorhebt und sichtbar macht.

    Denn manchmal braucht Schulentwicklung keine großen Reformen. Manchmal muss man sie nur begreifen können und verstehen, was man aus dem eigenen Selbstverständnis heraus schon längst tut und in einem vielfältigen Angebot Gemeinsamkeiten und Verbindungen zu erkennen. Und dafür braucht man einen Begriff – oder ein Tag: Kulturelle Bildung.

    AUS DER PRAXIS – SICHTBARKEIT FÜR KULTURELLES ENGAGEMENT IM UNTERRICHT UND DARÜBER HINAUS

    Der Kompetenznachweis Kultur (KNK) der Bundesvereinigung für Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ)

    Im Rahmen des WU-Kurses Darstellendes Spiel in der Jahrgangsstufe 10 entstand ein Kurzfilmprojekt zum Thema M/Faking City Life – Szenen einer Großstadt. Die Schüler:innen hatten zu Beginn des Kurses die Möglichkeit, ihr Interesse am Kompetenznachweis Kultur (KNK) anzumelden – einer Auszeichnung für besonderes kulturelles Engagement. Von da an führten sie ein Projekttagebuch, in dem sie die Prozesse und Produkte ihres kreativen Arbeitens dokumentierten und reflektierten. In mehreren Zwischen- und einem abschließenden Gespräch haben wir gemeinsam auf Basis dieser Tagebücher ihre individuellen Leistungen besprochen. Anschließend konnte ich als zertifizierter Kompetenzberater Kultur den KNK ausstellen. Die feierliche Verleihung erfolgte durch die jeweilige Klassenlehrkraft im Rahmen der Zeugnisübergabe – ein Moment, der nicht nur die Leistung der Schüler:innen würdigte, sondern auch bei bislang unbeteiligten Gruppen Interesse am Verfahren weckte.

    Auch im IB Diploma Programme konnte der KNK erfolgreich eingebunden werden. Im Rahmen des verpflichtenden CAS-Kurses (Creativity, Activity, Service) entwickeln die Schüler:innen eigenständig Projekte, die der Schulgemeinschaft zugutekommen. In Absprache mit der betreuenden Lehrkraft – zugleich Mitglied der erweiterten Schulleitung – konnte ich den KNK auch hier vergeben. Die Kollegin war zunächst entlastet, zeigte aber im Anschluss großes Interesse am Verfahren. Zugleich ist es dadurch gelungen, an einen der wesentlichen und zentralen Profilschwerpunkte unserer Schule anzudocken und ihn ein Stück weit zu „kapern“. Gemeinsam überlegen wir nun, wie noch mehr Schüler:innen zu bestimmten Zeitpunkten ihrer Schullaufbahn vom KNK profitieren können – etwa bei Bewerbungen für Praktika oder Stipendien, wo der Nachweis kultureller Kompetenzen zunehmend an Bedeutung gewinnt.

    Die KultUrKunde meiner Schule

    Mit der KultUrKunde haben wir ein eigenes Zertifikat geschaffen, das kulturelles Engagement von Schüler:innen sichtbar macht und würdigt – jenseits von Noten und klassischen Leistungsnachweisen. Der Name ist bewusst doppeldeutig gewählt: Er spielt mit „KulturKunde“ im Sinne von Wissen und Bildung, und mit „KultUrkunde“ als offizieller Auszeichnung. Die KultUrKunde wird im Rahmen unserer kultur.Forscher!-Aktivitäten verliehen und dokumentiert individuelle Beiträge zu ästhetisch-kreativen Projekten, sei es im Unterricht, in Kooperationen oder in schulischen Initiativen.

    Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Anwendung war das Kooperationsprojekt mit der Alten Oper Frankfurt und dem Deutschen Filmmuseum. Drei Klassen unserer Schule setzten sich mit der Frage auseinander, wie Musik filmisch interpretiert werden kann. Nach mehreren Workshops entstand ein Kurzfilm, der schließlich im Saal der Alten Oper aufgeführt wurde – begleitet von live gespielter Musik. Für die beteiligten Schüler:innen war das eine intensive ästhetische Erfahrung, die weit über den regulären Unterricht hinausging. Im Anschluss konnte ich fast 100 Schüler:innen die KultUrKunde überreichen – als Zeichen der Anerkennung für ihr kreatives Engagement und als Dokumentation ihrer kulturellen Teilhabe.

    Die KultUrKunde ist damit nicht nur ein Instrument der Würdigung, sondern auch ein Mittel der Schulentwicklung: Sie macht sichtbar, was ohnehin schon da ist, vernetzt es unter einem gemeinsamen Begriff und stärkt das kulturelle Profil unserer Schule – leise, aber wirkungsvoll.

    TAGGING ALS EINSTIEGSIMPULS – ABER NICHT ALS ENDPUNKT

    Eine erfolgreiche Tagging-Aktion könnte genau das bewirken:

    • Ein neues Bewusstsein im Kollegium, dass kulturelle Bildung nicht zusätzlich ist, sondern bereits wirkt – und dass sie helfen kann, das Profil zu ordnen, zu bündeln, zu beleben.
    • Eine neue Sprache für Schüler:innen, die ihr Engagement als Teil kultureller Praxis erkennen und wertschätzen lernen.
    • Eine neue Sichtbarkeit für das kultur.Forscher!–Netzwerk, das nicht nur Plakette, sondern Prozess ist – ein Raum für ästhetische Forschung, für Fragen, für Gestaltung.

    So wirksam und niedrigschwellig das Tagging als erste Strategie kultureller Schulentwicklung auch ist – es darf nicht als Endpunkt verstanden werden. Denn im eigentlichen Sinne handelt es sich dabei noch nicht um eine (Schul-)Entwicklung, also um eine Bewegung, die etwas verändert oder voranbringt. Tagging ist vielmehr ein transformatorischer Akt: Es verändert die Wahrnehmung, rahmt Bestehendes neu und schafft einen Bedeutungszusammenhang, der zuvor nicht sichtbar war. Doch damit beginnt erst der eigentliche Prozess. Echte Schulentwicklung setzt dort an, wo aus dieser neuen Sichtweise auch neue Formen des Handelns entstehen. Wenn Kolleg:innen beginnen, ihre Praxis nicht nur als kulturell anschlussfähig zu erkennen, sondern sie auch bewusst weiterzudenken – im Austausch mit anderen, in der Öffnung nach außen, in der Gestaltung neuer Formate und Kooperationen; wo kulturelle Bildung nicht nur etikettiert, sondern gelebt wird.

    Tagging kann dabei als Katalysator wirken: Es schafft ein gemeinsames Vokabular, eine geteilte Orientierung, eine Grundlage für kollektive Weiterentwicklung.

    Kulturelle Schulentwicklung ist also kein statisches Etikett, sondern ein dynamischer Prozess, der sich aus dem Inneren der Schule heraus entfaltet. Sie lebt von der Bereitschaft, Bestehendes nicht nur zu würdigen, sondern auch weiterzuentwickeln – organisch, kontextsensibel und im Dialog mit den Menschen, die Schule gestalten. Tagging ist der erste Schritt auf diesem Weg. Es macht sichtbar, was da ist – und öffnet den Raum für das, was noch entstehen kann.

    WAS WÄRE, WENN…?

    • Was wäre, wenn wir beginnen würden, unsere Schule nicht mehr nur über ihre Angebote zu definieren, sondern über das, was diese Angebote miteinander verbindet?
    • Was wäre, wenn das Tag Kulturelle Bildung nicht als weiterer Aufkleber im Schulflur verstanden würde, sondern als ein Zeichen der Selbstvergewisserung?
    • Wie sähe ein Schulalltag aus, in dem kulturelle Bildung nicht gesucht, sondern gefunden wird?
    • Wie sähe ein Kollegium aus, das sich gegenseitig taggt – nicht mit Etiketten, sondern mit Anerkennung?
    • Wie sähe eine Schule aus, die sich nicht als Baukasten versteht, sondern als lebendiger Organismus?
    • Was wäre, wenn die schulischen Angebote nicht als konkurrierende Einzelinitiativen wahrgenommen würden, sondern als die sichtbar aus dem Boden der Schulgemeinschaft sprießenden Fruchtkörper eines unsichtbar vernetzenden Pilzmyzels – der Kulturellen Bildung?

    VIELLEICHT…!

    • Vielleicht würden Kolleg:innen beginnen, ihre Projekte nicht mehr als isolierte Vorhaben zu sehen, sondern als Teil eines größeren kulturellen Zusammenhangs.
    • Vielleicht würden Schüler:innen erkennen, dass ihr Engagement in Musik, Theater, Medien oder sozialen Projekten nicht nur „AG“ oder „WU-Kurs“ ist, sondern Ausdruck kultureller Teilhabe.
    • Vielleicht würde die Plakette kultur.Forscher-Schule nicht mehr als Dekoration im Flur hängen, sondern als Einladung verstanden werden – zum Forschen, Gestalten, Wachsen.
    • Vielleicht würde unsere Schule beginnen, sich selbst neu zu sehen: nicht als überfrachtetes Profilgebäude, sondern als lebendiger Baum mit starken Wurzeln, vielfältigen Fruchtkörpern und einem Myzel aus Kultureller Bildung, das alles verbindet und zum Erblühen bringt.
    • Vielleicht würde sich unsere Schule nach einer solchen Aktion nicht verändert, sondern erkannt fühlen. Nicht überfrachtet, sondern verbunden. Nicht orientierungslos, sondern verwurzelt. Vielleicht würde sie sich selbst besser kennenlernen – und mit einem gestärkten, im Bewusstsein aller verankerten klaren Selbstverständnis zukunftsfähig werden.

    Also: LET’S TAG!

  • Je höher der Leuchtturm, desto größer sein Schatten

    KulturSchule als Leuchtturmprojekt: ein Ort der Orientierung, Inspiration, Strahlkraft und Sichtbarkeit – mit Schattenseiten

    Eines vorab!

    Bevor ich kritische Blicke auf das Schulentwicklungsprogramm KulturSchule richte, möchte ich meine persönliche Haltung dazu klären: Ich bin begeistert von der Idee der KulturSchule. Es ist mein Wunsch, meine Schule auf diesem Weg weiterzuentwickeln – denn ich bin überzeugt, dass dies sowohl für die Schüler:innen als auch für die Kolleg:innen ein bedeutender und richtiger Schritt wäre.

    Ein erster Meilenstein ist bereits erreicht: Meine Schule ist Teil des Kultur.Forscher!–Netzwerks. Doch für mich ist das nur der Anfang. Ich arbeite täglich daran, diesen Weg weiterzugehen.

    Dabei stoße ich immer wieder auf Hürden: Befindlichkeiten, Vorbehalte, Ressentiments und Abwehrhaltungen. Ich gestehe, dass es mir schwerfällt, dafür Verständnis aufzubringen. In diesem Beitrag möchte ich bewusst die Perspektive wechseln und kritische Blicke auf das über die Landesgrenzen hinaus erfolgreiche Programm KulturSchule werfen und dadurch versuchen, mich selbst für die Gegenseite anschluss- und diskursfähiger zu machen – in der Hoffnung, dadurch andere in ihren Vorbehalten zu verstehen und von meinem Anliegen überzeugen zu können.

    Interview zwischen André Hatting und Thomas Langenfeld anlässlich des 15-jährigen Bestehens der KulturSchule Hessen.
    Quelle: 15 Jahre „Kulturschule“ in Hessen – Wie Kinder weltweit von kultureller Bildung profitieren

    KulturSchule Hessen – Wenn Schule zum kulturellen Erfahrungsraum wird

    Was wäre, wenn Schule nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch ein Raum für ästhetische Erfahrung, kreative Entfaltung und kulturelle Teilhabe wäre? Genau dieser Gedanke steht im Zentrum des hessischen Landesprogramms „KulturSchule“, das seit 2008 neue Wege in der Schulentwicklung beschreitet. Es geht dabei nicht um punktuelle Projekte oder zusätzliche Angebote, sondern um eine tiefgreifende Transformation schulischer Praxis – hin zu einer Schule, in der kulturelle Bildung als Querschnittsaufgabe verstanden und gelebt wird.

    KulturSchulen entwickeln ein eigenes kulturelles Profil, das sich in Unterricht, Schulkultur und Schulorganisation widerspiegelt. Sie schaffen Räume, in denen Schüler:innen sich künstlerisch ausdrücken, ästhetisch forschen und kulturelle Ausdrucksformen als Teil ihrer Persönlichkeitsentwicklung erleben können. Dabei geht es nicht nur um Kunst, Musik oder Theater, sondern um eine ästhetisch-kulturelle Haltung, die alle Fächer durchdringen kann – von Mathematik bis Sport, von Deutsch bis Biologie.

    Das Programm richtet sich an Schulen aller Schulformen und Schulstufen in Hessen. Der Weg zur KulturSchule ist ein mehrjähriger, begleiteter Prozess: Schulen bewerben sich, formulieren ein kulturelles Leitbild, bilden Steuergruppen, nehmen an Fortbildungen teil und vernetzen sich mit Künstler:innen, Kulturinstitutionen und anderen Schulen im Programm.

    Ziel ist es, kulturelle Bildung nicht als „Add-on“, sondern als integralen Bestandteil von Schulentwicklung zu etablieren. KulturSchulen verstehen sich als lernende Organisationen, die kulturelle Bildung nicht nur für Schüler:innen, sondern auch für das Kollegium und die Eltern erfahrbar machen. Sie setzen Impulse für eine Schule, die Vielfalt wertschätzt, Kreativität fördert und Bildung als ganzheitlichen Prozess begreift.

    Der Weg zur KulturSchule ist dabei ein mehrjähriger Prozess, begleitet durch Fortbildungen, Netzwerktreffen und individuelle Beratung. Schulen entwickeln ein eigenes kulturelles Leitbild, bauen Kooperationen mit Künstler:innen und Kulturinstitutionen auf und schaffen Räume für kreative Entfaltung – für Schüler:innen ebenso wie für das Kollegium. Heute gehören über 30 Schulen in Hessen diesem Netzwerk an – jede mit einem eigenen Profil, aber verbunden durch die gemeinsame Überzeugung: Kulturelle Bildung ist kein Luxus, sondern ein Bildungsrecht.

    Warum ich KulturSchule will

    Ich würde auch gerne an einer KulturSchule arbeiten. Vielmehr würde ich gerne meine Schule zu einer KulturSchule hinentwickeln – auch weil ich der Überzeugung bin, dass ein solches Profil sehr gut zu unserer Schüler- und Lehrerschaft passen könnte. Ich arbeite daran, doch empfinde ich es selbst zu oft wie ein Kampf gegen Windmühlen: Ich komme einfach nicht gegen die Vorbehalte, Befürchtungen, Befindlichkeiten und andere Ressentiments an. Es gelingt mir nicht, meine Idee einer kulturell-bildenden Schule auf die Schulgemeinde zu projizieren und die Entscheidungsträger zu überzeugen.

    Lange Zeit habe ich versucht zu verstehen, warum andere nicht in gleicher Weise davon überzeugt sind wie ich; warum man so zögert und sich sogar abweisend verhält. Wissen tue ich es bis heute nicht. Doch habe ich eine Vermutung:

    Jeder Leuchtturm hat seinen Schatten

    Zweifelsohne ist das Projekt KulturSchule ein tolles Leuchtturmprojekt in der hessischen Bildungs- und Schullandschaft: Über 30 Schulen sind seit nunmehr über 17 Jahre dabei, um ein kulturelles Schulprofil zu entwickeln und zu leben. Die hessische Idee der KulturSchulen hat sogar über die Landes- und Bundesgrenze hinaus Nachahmer gefunden. Zurecht können wir beim Schulentwicklungsprogramm also von einem Leuchtturmprojekt sprechen.

    Leuchtturmprojekt, das (Substantiv, Neutrum)

    • herausragendes, wegweisendes Projekt (besonders im kulturellen und politischen Bereich)
    Quelle: duden.de

    KulturSchule zu werden ist das Bekenntnis einer Schulgemeinschaft zu einem gewissen Profil. Erzeugt wird eine solche Profilierung durch Fokussierung und Konzentration auf einen Aspekt. In diesen Aspekt wird dann meist die Energie investiert, die zuvor in viele verschiedene andere Bereiche geflossen ist. Es handelt sich um eine Spezialisierung, also das Gegenteil von Diversifizierung. Das heißt: Eine Schulgemeinde entscheidet sich bewusst dazu, bestimmte Ziele und Herangehensweisen nicht mehr prioritär zu verfolgen. Profilierung bedeutet also Zuspitzung dadurch, dass bestimmte Aspekte nicht mehr als relevant eingestuft werden, sich von ihnen zuweilen also abgegrenzt wird.

    Doch auch jeder Leuchtturm wirft Schatten. Und je höher ein Leuchtturm ist, desto größer ist er.

    Quelle: Microsoft Copilot

    WENN PROFILIERUNG ZU ABGRENZUNG FÜHRT

    Das Profil KulturSchule schafft also eine Grenze zwischen den derzeit 31 KulturSchulen und den „normalen“ Schulen. Diese Abgrenzung wirkt sich darauf aus, wie sich KulturSchulen und Nicht-KulturSchulen gegenseitig wahrnehmen:

    KulturSchulen sagen mit ihrer Profilentscheidung also auch: „Ich sage mich von der normalen Schule los, ich möchte mit ihr nichts mehr zu tun haben.“ Das ist also eine klare Abkehr und in gewisser Weise auch Verurteilung aller Schulen, die nicht diesen Weg gehen wollen – oder können. Wären Schulen Menschen – und in gewisser Weise sind sie es, weil sie von uns getragen und gestaltet werden – müsste man das als Kränkung verstehen. Und so reagieren manche Schulen auch!

    abgrenzen (schwaches Verb)

    • von etwas durch eine Grenze abtrennen
    • etwas, sich durch genaue Bestimmung von etwas, jemandem trennen, absetzen
    • sich distanzieren, von jemandem, einer Sache absetzen

    Synonyme: abrücken, sich lösen, sich lossagen, mit jemandem/etwas nichts mehr zu tun haben wollen

    Quelle: duden.de

    Elite oder Netzwerk? – Ist Kulturelle Bildung der DACIA unter den Schulprofilen: das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen?

    Das Label „KulturSchule“ schafft einen geschlossenen Kreis von Schulen: In gewisser Weise handelt es sich dabei um einen elitären Zirkel, etwas, das mit dem Selbstverständnis und dem Bildungsziel von KulturSchulen eigentlich nicht vereinbar sein dürfte. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den mehrjährigen und recht hochschwelligen Zertifizierungsprozess als KulturSchule. So schaut das System KulturSchule also genau darauf, welche Schule „mitmachen“ darf und welche nicht, welche zu den Bildungsidealen und -zielen passt und welche nicht, wer in diesen geschlossenen Kreis aufgenommen wird und wer nicht. Das klingt schon sehr nach Elite – nur eben anders, als wir es oft assoziieren.

    Elite, die (Substantiv, feminin)

    • eine Auslese darstellende Gruppe von Menschen mit besonderer Befähigung, besonderen Qualitäten; die Besten, Führenden; Führungsschicht, -mannschaft

    Synonyme: Auslese, Auswahl, die Besten, die oberen Zehntausend

    Quelle: duden.de

    KulturSchule – kein gymnasiales Profil?

    Und so scheinen die Vorbehalte, Bedenken, Zweifel und Ressentiment gerade bei Gymnasien hoch, denn nur ca. ein Viertel aller hessischen KulturSchulen sind Gymnasien. Der größte Teil der KulturSchulen in Hessen besteht aus Gesamtschulen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Wahrnehmung des KulturSchul-Programms gymnasialer Schulleiter:innen als ein Profil für Gesamtschulen: Das erschwert es Gymnasien in ihrem Selbstverständnis – gerade in Ballungsräumen wie Frankfurt – sich dem anzunähern, weil man eigentlich darauf bedacht ist, sich von den Gesamtschulen zu distanzieren und abzugrenzen. Und das könnte durchaus auf den gesamten Bereich der Kulturellen Bildung als etwas „Gesamtschulmäßiges“ ausstrahlen. Ich bin aber davon überzeugt, dass Kulturelle Bildung in allen Schulformen vorkommen muss!

    Kulturelle Bildung wächst in der Breite und nicht in der Tiefe

    Das System KulturSchule schafft durch die Abgrenzung zu Nicht-KulturSchulen Konkurrenz – und dann wiederum als Reaktion eine noch stärkere Abgrenzung. Mit Sicherheit war das Leuchtturmprojekt KulturSchule eine wichtige Innovation: Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Strahlkraft dieses 17 Jahre alten Leuchtturms langsam nachlässt, die Schatten aber bleiben und damit größer als die Strahlkraft werden könnten.

    Ich habe Angst, dass wir an einem Punkt angekommen sein könnten, an dem dieses Schulprofilentwicklungsprogramm die flächendeckende Ausbreitung der Idee der Kulturellen Bildung in Schulen beginnen könnte zu hemmen.

    Unser Ziel sollte doch sein, möglichst viele Schulen von dem „Pilz“ der Kulturellen Bildung durchziehen zu lassen. Ein Pilzgeflecht wächst aber in die Breite – und nicht in die Tiefe. Daher sollten wir doch auch versuchen, Kulturelle Bildung in die Breite zu bringen und nicht wenige Schulen immer tiefer darin zu verankern.

    Und wenn wir Schule anders denken?

    • Was wäre, wenn Schulentwicklung nicht mehr als Kampf gegen Widerstände, sondern als gemeinsames Wachsen verstanden?
    • Wie könnten wir kulturelle Bildung als verbindendes Element nutzen, um starre Strukturen zu lockern und neue Räume für Entwicklung zu schaffen?
    • Was würde passieren, wenn wir nicht länger auf Zustimmung von oben warten, sondern einfach anfangen – im Kleinen, im Verborgenen, im Vertrauen auf Wirkung?
    • Könnte eine Schule, die kulturelle Bildung lebt, nicht auch andere Entwicklungsprozesse beflügeln – etwa im Bereich Demokratiebildung, Nachhaltigkeit oder sozialem Lernen?
    • Wie sähe eine Schule aus, in der sich nicht Profile gegenseitig verdrängen, sondern sich gegenseitig befruchten?
    • Was würde sich verändern, wenn Schulentwicklung nicht mehr als Wettbewerb, sondern als kollektiver Prozess gedacht würde – getragen von Vielfalt, Kreativität und gegenseitigem Vertrauen?
    • Und was wäre, wenn wir eines Tages feststellen: Die kulturelle Bildung hat längst begonnen zu wachsen – nicht als Leuchtturm, sondern als lebendiges Geflecht unter unseren Füßen?