Kategorie: Lehrer:innenrolle

  • „Another Brick in the Wall“?

    Manchmal braucht es Schüler:innen, um die eigene Rolle zu hinterfragen

    Schulkonzerte sind etwas Schönes. Sie bedeuten im Vorfeld zwar unglaublich viel Arbeit – Proben organisieren, Stimmen einstudieren, Technik koordinieren, Nerven behalten. Und doch weiß man an dem Abend, wenn man in die erfüllten, glücklichen und stolzen Gesichter der Schüler:innen blickt: Es hat sich gelohnt.

    Und dann tritt die Abiband auf: Eine selbstformierte Gruppe von Schüler:innen, die am selben Morgen ihr Abiturzeugnis erhalten haben. Der Frontsänger kündigt an, dass sie das heutige Konzert als ihren persönlichen Abschluss an unserer Schule sehen – und sich mit dem folgenden Song bei den Lehrkräften revanchieren möchten. Dann spielen sie: „Another Brick in the Wall“ von Pink Floyd.

    Der Song ist musikalisch stark umgesetzt. Kein Wunder also, dass das Publikum und meine Kolleg:innen den Auftritt mit bester Laune und sichtlichem Stolz würdigen.

    Quelle: YouTube (URL: Pink Floyd Another Brick In The Wall (HQ) – YouTube)

    Doch halt!

    Der Frontsänger sprach von „Revanchieren“. Für was? Und warum jetzt?

    In dem Song lehnen sich Schüler:innen gegen ihre Lehrkräfte auf – gegen ein System, das sie als kalt, zynisch und kontrollierend empfinden. Lehrkräfte, die mit Sarkasmus und Druck versuchen, junge Menschen in eine Welt der Unfreiheit und Angst zu zwingen.

    Ich saß da und stellte mir zwangsläufig die Frage, ob die Abiturient:innen ihre Lehrer:innen wirklich als kalt, zynisch und kontrollierend empfunden haben. Und dann steht dort auch ein Schüler, den ich selbst unterrichtet habe. Und so muss ich mir auch die Frage stellen: Meint er mich?

    Tausend Fragen und Gedanken schießen mir in diesem Moment durch den Kopf: Warum ist es mir – trotz aller Bemühungen – nicht gelungen, die Schüler:innen individueller zu fördern? Ich dachte eigentlich, dass wir eine gute Unterrichtsatmosphäre gehabt hätten. War meine Leistungsbewertung wirklich unfair? Warum scheinen meine Schüler:innen nicht gerne zu mir in den Unterricht gekommen zu sein? Kamen sie nur, weil sie mussten? Weil sie sonst schlechte Noten bekommen hätten? Weil sie Angst vor mir hatten?

    Ich merkte, wie ich der Band immer wieder zuhörte und in meiner Gedankenwelt aus Fragen, Vorwürfen und Selbstzweifeln versank.

    In dieser Unsicherheit suchte ich Blickkontakt zu meinen Kolleg:innen. Doch was ich sah, irritierte mich fast noch mehr: Warum nickten meine Kolleg:innen im Takt, als sei das alles ein harmloser Spaß? Warum merkten sie nicht, dass sie gerade kritisiert werden? Trifft sie der Vorwurf der Schüler:innen nicht? Sind sie sicher, dass sie nicht gemeint sein können?

    Vielleicht taten sie es, weil sie spürten, dass die Schüler:innen hier ihre Stimme gefunden haben. Vielleicht taten sie es, weil sie die Kritik anerkannten. Vielleicht taten sie es aber auch, weil sie sie nicht hören wollten.

    Solche Momente machen mich nachdenklich. Sie rütteln an meinem Berufsbild. Und manchmal ärgern sie mich auch – weil ich das Gefühl bekomme, dass viele Schüler:innen gar nicht sehen, wie sehr man selbst mit dem System hadert und ringt und wie viel Engagement über die reine „Dienstpflicht“ hinaus nötig ist, um die engen Grenzen und Mauern des Systems zu weiten und den Schüler:innen wertvolle Erfahrungen zu ermöglichen.

    Quelle: Microsoft Copilot

    Vermutlich haben die Schüler:innen mit ihrem Songbeitrag recht:

    Das Schulsystem ist eine alte, ehrwürdige Mauer – und zwar aus Granit. Sie hat bereits mehrere hundert Jahre überdauert und ist in dieser Zeit dicht und undurchlässig geworden. Und so könnte sie auch weitere hundert Jahre stabil bestehen. Und als Lehrkraft bin ich ein Stein in dieser Mauer – ob ich das will oder nicht.

    Aber wenn diese Mauer aus Granit besteht, dann möchte ich wenigstens ein Ziegel aus Kalkstein sein:

    porös, atmend, durchlässig.

    Wenn wir es schafften, uns selbst als formbaren Kalkstein zu begreifen – als Material, das sich im Laufe der Zeit verändert, das mit seiner Umwelt verwächst und sie nicht kalt und glatt wie Granit abweist –, dann könnten wir Schule von innen heraus verändern. Stein für Stein.

    Yes, I’m (just) „Another Brick in the Wall“.

    Ich bin ein Stein dieser Mauer. Und das werde ich in diesem Berufsleben wohl nicht ändern können. Aber ich kann für mich entscheiden, welcher Stein ich bin: Bin ich Granit – oder bin ich Kalkstein? Wenn schon ein Stein in der Mauer – dann einer, der atmet, porös und durchlässig ist, der sich zu seiner Umwelt außerhalb der Mauer öffnet und Öffnungen schafft und dadurch die Mauer instabil werden lässt und vielleicht irgendwann zum Einsturz bringt.

    Inzwischen ist mir bewusst, dass die Schüler:innen nicht mich persönlich gemeint haben. Sie haben das System gemeint, für das ich in gewisser Weise stellvertretend stehe. Durch ihr Abitur ist es ihnen gelungen, der Mauer aus Granit zu entkommen. Deswegen können sie auch bei diesem Schulkonzert von außen gegen die Mauer treten und ein Stück von ihr zum Einsturz bringen. Hätten sie das zuvor gewagt, als sie noch von der Mauer umringt waren, wären sie Gefahr gelaufen, dass Teile der Mauer auf sie hinunterfallen und sie verletzen.

    Ich bin froh, dass die Schüler:innen den Mut gehabt haben, diesen Song zu singen und ich danke ihnen sehr für diesen Impuls. Und vielleicht haben sich meine Kolleg:innen an diesem Abend ähnliche Gedanken gemacht wie ich.

    Vielleicht sind in der Mauer längst andere Kalksteinziegel verbaut.

    Vielleicht sind wir mehr, als ich denke.

  • Der Lehrer als Gärtner

    Schulische Bildungsarbeit als Wachsenlassen in einer „klug geregelten Freiheit“, oder:
    Was sich Schule vom Ansatz der Permakultur abschauen kann!

    Woher kommt die Metapher des Lehrers als Gärtner?

    Die Metapher des Pädagogen als Gärtner lässt sich historisch besonders stark auf Jean-Jacques Rousseau zurückführen. In seinem Werk Émile oder Über die Erziehung (1762) beschreibt er Erziehung als einen Prozess, bei dem das Kind nicht geformt, sondern in seiner natürlichen Entwicklung begleitet und geschützt werden soll und vergleicht dabei das Kind mit einer Pflanze:

    „Respektiert die Kindlichkeit und beurteilt sie nicht voreilig – weder im Guten noch im Schlechten. Lasst den Ausnahmen Zeit, sich anzukündigen, erkannt und bestätigt zu werden, bevor ihr besondere Methoden auf sie anwendet. Gebt der Natur genug Zeit zu handeln, bevor ihr darangeht, an ihrer statt zu handeln, aus Furcht, ihr Wirken zu durchkreuzen“

    So wie die Pflanze einen eigenen Wachstumstrieb besitze, ist auch das Kind von Natur aus grundsätzlich gut und bestrebt zu wachsen und sich zu entwickeln. Eine Pflanze werde nicht größer, wenn man sie mit Gewalt aus der Erde zieht – vielmehr beraube man sie dadurch ihrer Lebensgrundlage. Entsprechend erfahre auch das Kind keine positive Entwicklung, wenn man es „er-zieht“.

    Rousseau vertritt die Auffassung, dass jede Entwicklung ein individueller Prozess sei, der vor allem Zeit brauche und sich nicht steuern ließe. Zwar mögen mehrere Pflanzen den gleichen Bedingungen ausgesetzt sein, doch reagiere jede Pflanze anders darauf: Was für die eine Pflanze zu viel Wasser oder Sonne sein mag, könnte für die andere zu wenig sein. Aus diesem reformpädagogischen Ansatz entwickelt Rousseau eine organische Sichtweise auf die Bildung von Kindern und begründet damit die Metapher der Lehrkraft als Gärtner, der eben nicht – wie in klassischen Bildungstheorien der Pädagoge als Bildhauer – das Kind als formbares Material oder unbeschriebenes Blatt ansieht, sondern seine Aufgabe darin sieht, die Kinder in ihrer natürlichen Entwicklung bestmöglich und individuell zu unterstützen: Der Erzieher solle nicht formen, sondern Rahmenbedingungen schaffen, in denen das Kind sich selbst entfalten kann – wie ein Gärtner, der den Boden bereitet, aber das Wachstum nicht erzwingt.

    Die Realität der pädagogischen Gärtner

    Die meisten Lehrer:innen würden, wenn man sie vor die Wahl stellte, ob sie sich selbst in der Metapher des Gärtners oder Bildhauers wiederfinden, sich wohl intuitiv für den Gärtner entscheiden: Wir alle würden wohl mit Stolz von uns behaupten, im Unterricht zu individualisieren und zu personalisieren, die Lernprozesse der Schüler:innen zu „begleiten“ und sie bei Herausforderungen zu „coachen“. Wohl niemand würde von sich selbst behaupten, Schüler:innen als „formbare Masse“ zu betrachten.

    Zoomen wir aber weiter in den schulischen Alltag hinein, finden wir Klassenstärken von 30 Kindern und mehr, repetitive Stundenpläne, feste Zeitraster mit 45-Minuten-Einheiten, vorgegebene Curricula, terminierte Vergleichsarbeiten, Klassenarbeiten, standardisierte Leistungsmessungen, -beurteilungen und -bewertungen, Defizitbeschreibungen anhand zentral vorgegebener Lernstandserwartungen und vielem mehr.

    All das erinnert auf den ersten Blick recht wenig an Rousseaus Bildungsideal. Doch hat der heutige Zustand durchaus – wenn auch in dystopischer Art und Weise – etwas mit ihm gemeinsam: Unsere heutigen Schüler:innen sind durchaus Pflanzen und die Pädagogen Gärtner, doch eben nicht in freier Natur, sondern im Gewächshaus des heutigen Schulsystems.

    Quelle: pixabay.com

    Was das bedeutet liegt auf der Hand: Im Zuge zunehmender Ökonomisierungstendenzen (wir erinnern uns an die G8-/G9-Debatten) sollen die Schüler:innen immer schneller eine vorgegebene Norm erfüllen, um in das bestehende System integriert werden zu können. Und so lassen wir allen unseren Schüler:innen die gleiche Pflege zukommen, doch sind die Ansprüche bei 30 verschiedenen Kindern mit 30 verschiedenen Individualbiografien und Wachstumstendenzen eben verschieden. Und so wundert es nicht, dass sich eben nicht alle Schüler:innen durch die ihnen zugeführte identische Energie gleich entwickeln. In unserem Schulsystem werden „zu krumme Bananen“ genauso aussortiert wie „zu kleine Äpfel“ – wer nicht mitkommt muss die Jahrgangsstufe wiederholen oder gar die Schule verlassen.

    So wie das Wachstum von Pflanzen in Gewächshäusern eben nicht mehr dem natürlichen Biorhythmus folgt, so übergeht auch unser heutiges, vereinheitlichendes Schulsystem den individuellen Entwicklungsrhythmus unserer Kinder und fördert eine konforme und wenig innovative gesellschaftliche Monokultur.

    Schule als offenes und dynamisches System

    In einer Welt, die immer komplexer und dynamischer wird, bildet die Schule mit ihren festen Mustern zwar eine Schutzatmosphäre, doch schirmt sie die Schüler:innen auch von der Außenwelt ab. Was passiert aber mit Pflanzen, die eben nicht in der freien Natur gewachsen sind, sondern im Gewächshaus gezogen wurden? – Pflanzen im Gewächshaus sind oft empfindlicher, wenn sie ins Freie kommen – ebenso können Schüler:innen Schwierigkeiten haben, sich in der „Welt draußen“ zurechtzufinden, wenn Schule zu stark abgeschottet ist. Zu viel Kontrolle kann natürliche Vielfalt und Widerstandskraft unterdrücken – individuelle Lernwege, kreative Umwege oder „Wildwuchs“ werden möglicherweise nicht zugelassen.

    Sollten wir also nicht wegkommen von unseren „Gewächshaus-Schulen“, die auf Konformität und gesellschaftliche Verwertbarkeit, das heißt auf gesellschaftlich-kulturelle Monokulturen ausgerichtet sind? Sollten wir Schule nicht vielmehr als lebendiges, wachsendes, offenes und dynamisches System verstehen? „Beobachtet die Natur und folgt dem Weg, den sie euch vorzeichnet“, schreibt Rousseau in seinem Émile.

    Der Ansatz der Permakultur nach Bill Mollison und David Holmgren

    Eine Antwort darauf könnte der Ansatz der Permakultur sein. Permakultur ist ein nachhaltiges Gestaltungskonzept für Landwirtschaft, Gärten, Siedlungen und soziale Systeme. Der Begriff setzt sich aus „permanent“ und „agriculture“ (bzw. „culture“) zusammen und wurde in den 1970er Jahren von Bill Mollison und David Holmgren entwickelt. Ziel ist es, dauerhafte, resiliente und naturnahe Systeme zu schaffen, die sich selbst erhalten und regenerieren können.

    Im Zentrum der Permakultur stehen drei ethische Grundprinzipien:

    1. Teile Überschüsse und begrenze Konsum, das heißt: Ressourcen gerecht verteilen und Kreisläufe schließen
    2. Sorge für die Erde, das heißt: Erhaltung und Regeneration natürlicher Lebensgrundlagen
    3. Sorge für die Menschen, das heißt: Aufbau gerechter, kooperativer und gesunder Gemeinschaften

    Die zwölf permakulturellen Gestaltungsprinzipien und ihre Bedeutung für unser Bildungssystem

    Diese Ethik wird durch zwölf Gestaltungsprinzipien konkretisiert, die als Leitlinien für nachhaltiges Handeln dienen:

    Beobachte und interagiere:
    Nachhaltige Gestaltung beginnt mit achtsamer Beobachtung. Wer ein System verändern will, muss es zuerst verstehen. In der Permakultur wird nichts vorschnell geplant. Stattdessen wird geschaut: Was wächst hier bereits? Welche Beziehungen bestehen? Welche Bedürfnisse zeigen sich? Das heißt, dass Lehrkräfte und Schüler:innen Lernprozesse, Bedürfnisse und Interessen beobachten. Unterricht wird flexibel angepasst, statt starr geplant. Im Zentrum des Bildungsprozesses steht also keine extrinsische Vorgabe oder normierte Erwartung, sondern das intrinsische Entwicklungsziel der Schüler:innen. Lehrkräfte, die beobachten und zuhören, bevor sie eingreifen, schaffen tragfähige Beziehungen und wirksame Lernumgebungen.

    Fange Energie ein und speichere sie:
    In der Natur wird Energie nicht verschwendet – sie wird gesammelt, gespeichert und weitergegeben. In der Permakultur bedeutet das: Regenwasser auffangen, Sonnenlicht nutzen, Humus aufbauen. Übertragen auf das Bildungssystem heißt das, dass der Aufbau von Wissen, Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen die „Energie“ unserer Zukunft ist. Dazu erkennen die Lehrkräfte die Lernmotivation und stärken und pflegen die Arbeit in sozialen Teams. Sie dokumentieren Wissen und machen es zugänglich. Somit wird die Schule ein Ort, an dem Ressourcen nicht versickern, sondern bewusst kultiviert werden.

    Erziele eine Ernte:
    Ein gutes System liefert nützliche Ergebnisse – nicht nur langfristig, sondern auch im Alltag. In der Permakultur ist das der Ertrag in Form von Nahrung, Lebensqualität oder Biodiversität. In der Schule kann der Ertrag vielfältig sein: Freude am Lernen, soziale Kompetenzen, Selbstwirksamkeit, Gemeinschaftsgefühl. Dieses Prinzip erinnert uns daran, dass Bildung nicht nur auf Prüfungen zielen darf, sondern auf das Leben selbst. Deswegen können sich die Erträge auch unterscheiden und sind trotzdem Teil einer gemeinsamen Wertschöpfung.

    Nutze Selbstregulierung und akzeptiere Feedback:
    Natürliche Systeme regulieren sich selbst – durch Rückkopplung, Anpassung und Lernen. Auch in der Schule ist Feedback von Schüler:innen, Kolleg:innen und Eltern zentral. Wer bereit ist, Fehler als Lernchancen zu sehen und Strukturen anzupassen, schafft eine Kultur der Entwicklung. Permakultur lehrt: Nicht Kontrolle, sondern Vertrauen in die Selbstregulation macht Systeme stark und den sich im schnellen Wandel befindlichen äußeren Bedingungen gegenüber resilient.

    Nutze und schätze erneuerbare Ressourcen:
    Permakultur bevorzugt das, was nachwächst, sich regeneriert und lokal verfügbar ist. In der Schule bedeutet das, dass man mit vorhandenen Talenten arbeiten, auf natürliche Rhythmen achten und Lernprozesse nicht überfrachten soll. Auch Zeit, Aufmerksamkeit und Beziehung sind erneuerbare Ressourcen, genauso wie Kreativität und Gemeinschaft – wenn man sie pflegt.

    Produziere keinen Abfall:
    In der Natur gibt es keinen Müll – alles wird wiederverwertet. Dieses Prinzip fordert uns auf, Kreisläufe zu denken. Fehler, Konflikte oder Umwege sind kein „Abfall“, sondern Rohstoff für Entwicklung. Eine Schule, die aus Erfahrungen lernt, ist wie ein Komposthaufen: fruchtbar. Deswegen wird jede Erfahrung, auch ein Fehler, als Lernchance genutzt.

    Gestalte vom Muster zum Detail: Permakultur beginnt mit dem großen Ganzen: dem Klima, dem Gelände, den Beziehungen. Erst dann folgen die Details. Auch in der Schulentwicklung ist es klug, zuerst die Kultur, die Vision und die Werte zu klären – bevor man Stundenpläne, Methoden oder Räume gestaltet. Wer vom Muster her denkt, schafft kohärente und tragfähige Strukturen.

    Integriere statt zu trennen:
    Vielfalt und Zusammenarbeit machen Systeme stabil. In der Permakultur werden Pflanzen so kombiniert, dass sie sich gegenseitig stärken. In der Schule bedeutet das, dass Teamarbeit, fächerübergreifendes Lernen und inklusive Pädagogik gefördert wird. Trennung – nach Fächern, Altersgruppen oder Leistungsniveaus – kann sinnvoll sein, fördert aber auch eine wenig widerstandsfähige Monokultur, während die Integration Verbindung und Resilienz schafft.

    Nutze kleine und langsame Lösungen:
    Große Veränderungen brauchen Zeit. Permakultur setzt auf kleine, lokale, angepasste Lösungen, die wachsen dürfen. Auch in der Schule sind es oft die unscheinbaren Veränderungen, die langfristig wirken: ein neues Ritual, ein verändertes Gesprächsklima, ein gemeinsames Projekt. Ein Organismus, der (zu) schnell wächst, läuft Gefahr, nicht die notwendigen Strukturen aufbauen zu können, um äußeren Einflüssen trotzen zu können. Daher ist Langsamkeit kein Mangel, sondern eine Qualität.

    Nutze und schätze Vielfalt:
    Vielfalt ist kein Problem, sondern eine Stärke. Unterschiedliche Perspektiven, Fähigkeiten und Lebensformen machen Systeme anpassungsfähig und kreativ. Für die Bildung bedeutet das, dass Heterogenität nicht nur toleriert, sondern aktiv genutzt wird – im Unterricht, im Kollegium, in der Schulkultur. Unterschiedliche Lern- und Lehrstile, Kulturen, Sprachen und Talente werden als Bereicherung gesehen – nicht als Problem. Die Heterogenität unserer Gesellschaft muss in Schule als einem der wesentlichen Sozialisierungsräume der Kinder abgebildet und gelebt werden. Nur so können Sie auf die Welt außerhalb der schulischen Schutzatmosphäre vorbereitet werden.

    Nutze Randzonen und Übergänge:
    In der Natur sind Übergänge besonders fruchtbar – etwa zwischen Wald und Wiese. Auch in der Schule entstehen an Schnittstellen oft die spannendsten Entwicklungen: zwischen Fächern, zwischen Altersgruppen, zwischen Schule und außerschulischen Partnern. Wer diese „Ränder“ bewusst gestaltet, zum Beispiel durch Projektarbeiten, Arbeitsgemeinschaften und die Integration von außerschulischen Lernorten, fördert Kreativität und Innovation.

    Reagiere kreativ auf Veränderung:
    Veränderung ist unvermeidlich – die Frage ist, wie wir ihr begegnen. Permakultur lädt dazu ein, Wandel nicht zu fürchten, sondern als Chance zu begreifen. In der Schule bedeutet das, dass man offenbleiben, flexibel denken und gemeinsam Lösungen entwickeln soll. Kreativität ist die wichtigste Ressource in einer Welt im Umbruch. Schulen werden zu lernenden Organisationen. Sie passen sich an gesellschaftliche, technologische und ökologische Veränderungen an – mit Mut und Kreativität.

    Die Lehrerrolle im Licht der Permakultur: Gärtner eines lebendigen Ökosystems

    In einer von der Idee der Permakultur inspirierten Bildungslandschaft erfährt die Rolle des Lehrers und Pädagogen als Gärtner eine vitalisierende Renaissance. Er ist nicht mehr primär Wissensvermittler oder Kontrolleur von Lernprozessen, sondern vielmehr Gestalter von Bedingungen, Beobachter von Entwicklung und Pflegender von Potenzialen – ganz wie ein Gärtner in einem vielfältigen, lebendigen Garten.

    Im Zentrum steht die Beziehung – zu den Schüler:innen, zur Gemeinschaft, zur Umwelt. Der Lehrer beobachtet aufmerksam, hört zu, erkennt individuelle Bedürfnisse und reagiert mit Feingefühl. Er vertraut auf die Selbstregulation der Lernenden und begleitet sie auf ihrem Weg, statt sie zu steuern. Wie in einem gesunden Garten ist Vielfalt kein Störfaktor, sondern ein Zeichen von Resilienz. Unterschiedliche Lernstile, Kulturen, Sprachen und Talente werden nicht nivelliert, sondern wertgeschätzt und integriert. Der Lehrer fördert diese Vielfalt aktiv – im Unterricht, in Projekten und in der Schulkultur. Fehler, Umwege und Konflikte sind kein Abfall, sondern wertvoller Humus für Entwicklung. Der Lehrer schafft eine Kultur, in der Erfahrungen reflektiert und genutzt werden – nicht bestraft. So entsteht ein fruchtbarer Boden für persönliches und gemeinschaftliches Wachstum.

    Damit ist es Aufgabe des Lehrers, die „klug geregelte Freiheit“ zu organisieren, in der sich die Schüler:innen ihren eigenen Bedürfnissen und Bestrebungen nach frei entwickeln können.

    Was sich Schule vom Ansatz der Permakultur abschauen kann: Schule als Kulturlandschaft

    Diese Sichtweise fordert auch ein neues Verständnis von Bildung: nicht als bloße Wissensvermittlung, sondern als kulturelle Praxis, die Menschen dazu befähigt, verantwortungsvoll, kreativ und gemeinschaftlich zu handeln. Der Lehrer als Gärtner ist dabei nicht der Mittelpunkt, sondern Teil eines größeren, lebendigen Systems.

    Wenn wir Schule als Kulturlandschaft begreifen, verändert sich unser Blick auf Bildung grundlegend. Inspiriert von der Permakultur, die lebendige, resiliente und nachhaltige Systeme gestaltet, ist Schule nicht länger mehr eine industrielle Denkfabrik, in der unsere Schüler:innen „er-zogen“ oder „geformt“ werden, sondern ein vielfältiger, dynamischer Lebensraum, in dem Menschen wachsen, sich entfalten und miteinander in Beziehung treten.

    Permakultur lehrt uns, in Zusammenhängen zu denken. Und so kann Schule davon lernen, Fächer, Menschen, Beziehungen, Räume und Rhythmen als ein zusammenhängendes System zu begreifen. Lernen wird in diesem Verständnis als natürlicher Prozess gesehen – wie das Wachsen einer Pflanze. Es braucht Zeit, Raum, Pflege und Vertrauen. Das könnte Schule zum Anlass nehmen, sich von der Vorstellung zu lösen, dass Lernen linear, standardisiert und kontrollierbar ist.

    Auch die Gestaltung der Lernräume spielt eine zentrale Rolle. In der Permakultur werden Landschaften bewusst angelegt – mit Wasserläufen, Windschutz und Sonnenausrichtung. Ebenso könnte Schule ihre Räume als pädagogische Landschaften verstehen: mit Gärten, Werkstätten, Rückzugsorten und offenen Lernzonen, die zum Entdecken, Forschen und Gestalten einladen.

    Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Verantwortung. In einem permakulturellen System ist jeder Teil auch Mitgestalter. Schule kann davon lernen, Schüler:innen, Lehrkräfte und Eltern als aktive Mitverantwortliche zu sehen – nicht als bloße Konsumenten eines Bildungssystems – weil Lernen in Beziehungen, in Gemeinschaft, im Tun geschieht.

    Permakultur arbeitet in Kreisläufen – nichts geht verloren, alles wird weiterverwendet. So könnte auch Schule Wissen, Materialien und Erfahrungen in Kreisläufen denken: teilen, weitergeben, reflektieren. Fehler sind kein Abfall, sondern wertvoller Kompost für Entwicklung.

    Und schließlich: Permakultur strebt nicht nach Perfektion, sondern nach Resilienz. Auch Schule muss lernen, mit Unsicherheit, Wandel und Vielfalt umzugehen – nicht durch Kontrolle, sondern durch Vertrauen, Flexibilität und Kreativität. Denn die Herausforderungen der Zukunft – Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Digitalisierung – erfordern neue Formen des Denkens und Handelns. Schule als Kulturlandschaft bedeutet daher: Pflege statt Kontrolle, Wachstum statt Selektion, Beziehung statt Bewertung, Gemeinschaft statt Konkurrenz.

    Der Blick nach vorne

    schreibt Jean-Jacques Rousseau zu Beginn seines Werks „Emile oder Über die Erziehung„.

    Damit ist klar, dass der Lehrer als Gärtner nicht der Schöpfer der Pflanze, sondern der Hüter ihrer Bedingungen ist. In einer Zeit, in der Bildungssysteme unter dem Druck von Standardisierung, Effizienz und Vergleichbarkeit stehen, erinnert uns die Permakultur daran, dass Wachstum nicht gemacht, sondern ermöglicht wird.

    Wenn wir Schule als Kulturlandschaft verstehen, dann brauchen wir keine Architekten und Bildhauer, die starre Strukturen entwerfen, sondern Gärtnerinnen und Gärtner, die mit Geduld, Achtsamkeit und Vertrauen Räume für Entwicklung schaffen. Menschen, die beobachten, pflegen, begleiten – und wissen, dass jedes Kind seinen eigenen Rhythmus hat.

    Der Ruf nach einer Bildung, die sich an den Prinzipien der Permakultur orientiert, ist kein romantischer Rückzug ins Grüne. Er ist ein dringender Aufruf zur Transformation hin zu einer Schule, die eben nicht nur Wissen vermittelt, sondern resilientes Leben in einer hochmodernen und einem schnellen Wandel unterliegenden Welt ermöglicht: Eine Schule, die nicht nur auf Prüfungen vorbereitet, sondern auf eine Zukunft, die wir gemeinsam gestalten müssen.

    Wenn wir Bildung und Schule als ein lebendiges System begreifen, so öffnet sich unser Blick auf die darin befindlichen Menschen und wir erkennen, was sie sind: Teil eines großen, vielfältigen, lernenden Gartens.