KulturSchule als Leuchtturmprojekt: ein Ort der Orientierung, Inspiration, Strahlkraft und Sichtbarkeit – mit Schattenseiten
Eines vorab!
Bevor ich kritische Blicke auf das Schulentwicklungsprogramm KulturSchule richte, möchte ich meine persönliche Haltung dazu klären: Ich bin begeistert von der Idee der KulturSchule. Es ist mein Wunsch, meine Schule auf diesem Weg weiterzuentwickeln – denn ich bin überzeugt, dass dies sowohl für die Schüler:innen als auch für die Kolleg:innen ein bedeutender und richtiger Schritt wäre.
Ein erster Meilenstein ist bereits erreicht: Meine Schule ist Teil des Kultur.Forscher!–Netzwerks. Doch für mich ist das nur der Anfang. Ich arbeite täglich daran, diesen Weg weiterzugehen.
Dabei stoße ich immer wieder auf Hürden: Befindlichkeiten, Vorbehalte, Ressentiments und Abwehrhaltungen. Ich gestehe, dass es mir schwerfällt, dafür Verständnis aufzubringen. In diesem Beitrag möchte ich bewusst die Perspektive wechseln und kritische Blicke auf das über die Landesgrenzen hinaus erfolgreiche Programm KulturSchule werfen und dadurch versuchen, mich selbst für die Gegenseite anschluss- und diskursfähiger zu machen – in der Hoffnung, dadurch andere in ihren Vorbehalten zu verstehen und von meinem Anliegen überzeugen zu können.
Quelle: 15 Jahre „Kulturschule“ in Hessen – Wie Kinder weltweit von kultureller Bildung profitieren
KulturSchule Hessen – Wenn Schule zum kulturellen Erfahrungsraum wird
Was wäre, wenn Schule nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch ein Raum für ästhetische Erfahrung, kreative Entfaltung und kulturelle Teilhabe wäre? Genau dieser Gedanke steht im Zentrum des hessischen Landesprogramms „KulturSchule“, das seit 2008 neue Wege in der Schulentwicklung beschreitet. Es geht dabei nicht um punktuelle Projekte oder zusätzliche Angebote, sondern um eine tiefgreifende Transformation schulischer Praxis – hin zu einer Schule, in der kulturelle Bildung als Querschnittsaufgabe verstanden und gelebt wird.
KulturSchulen entwickeln ein eigenes kulturelles Profil, das sich in Unterricht, Schulkultur und Schulorganisation widerspiegelt. Sie schaffen Räume, in denen Schüler:innen sich künstlerisch ausdrücken, ästhetisch forschen und kulturelle Ausdrucksformen als Teil ihrer Persönlichkeitsentwicklung erleben können. Dabei geht es nicht nur um Kunst, Musik oder Theater, sondern um eine ästhetisch-kulturelle Haltung, die alle Fächer durchdringen kann – von Mathematik bis Sport, von Deutsch bis Biologie.
Das Programm richtet sich an Schulen aller Schulformen und Schulstufen in Hessen. Der Weg zur KulturSchule ist ein mehrjähriger, begleiteter Prozess: Schulen bewerben sich, formulieren ein kulturelles Leitbild, bilden Steuergruppen, nehmen an Fortbildungen teil und vernetzen sich mit Künstler:innen, Kulturinstitutionen und anderen Schulen im Programm.
Ziel ist es, kulturelle Bildung nicht als „Add-on“, sondern als integralen Bestandteil von Schulentwicklung zu etablieren. KulturSchulen verstehen sich als lernende Organisationen, die kulturelle Bildung nicht nur für Schüler:innen, sondern auch für das Kollegium und die Eltern erfahrbar machen. Sie setzen Impulse für eine Schule, die Vielfalt wertschätzt, Kreativität fördert und Bildung als ganzheitlichen Prozess begreift.
Der Weg zur KulturSchule ist dabei ein mehrjähriger Prozess, begleitet durch Fortbildungen, Netzwerktreffen und individuelle Beratung. Schulen entwickeln ein eigenes kulturelles Leitbild, bauen Kooperationen mit Künstler:innen und Kulturinstitutionen auf und schaffen Räume für kreative Entfaltung – für Schüler:innen ebenso wie für das Kollegium. Heute gehören über 30 Schulen in Hessen diesem Netzwerk an – jede mit einem eigenen Profil, aber verbunden durch die gemeinsame Überzeugung: Kulturelle Bildung ist kein Luxus, sondern ein Bildungsrecht.
Warum ich KulturSchule will
Ich würde auch gerne an einer KulturSchule arbeiten. Vielmehr würde ich gerne meine Schule zu einer KulturSchule hinentwickeln – auch weil ich der Überzeugung bin, dass ein solches Profil sehr gut zu unserer Schüler- und Lehrerschaft passen könnte. Ich arbeite daran, doch empfinde ich es selbst zu oft wie ein Kampf gegen Windmühlen: Ich komme einfach nicht gegen die Vorbehalte, Befürchtungen, Befindlichkeiten und andere Ressentiments an. Es gelingt mir nicht, meine Idee einer kulturell-bildenden Schule auf die Schulgemeinde zu projizieren und die Entscheidungsträger zu überzeugen.
Lange Zeit habe ich versucht zu verstehen, warum andere nicht in gleicher Weise davon überzeugt sind wie ich; warum man so zögert und sich sogar abweisend verhält. Wissen tue ich es bis heute nicht. Doch habe ich eine Vermutung:
Jeder Leuchtturm hat seinen Schatten
Zweifelsohne ist das Projekt KulturSchule ein tolles Leuchtturmprojekt in der hessischen Bildungs- und Schullandschaft: Über 30 Schulen sind seit nunmehr über 17 Jahre dabei, um ein kulturelles Schulprofil zu entwickeln und zu leben. Die hessische Idee der KulturSchulen hat sogar über die Landes- und Bundesgrenze hinaus Nachahmer gefunden. Zurecht können wir beim Schulentwicklungsprogramm also von einem Leuchtturmprojekt sprechen.
Leuchtturmprojekt, das (Substantiv, Neutrum)
Quelle: duden.de
- herausragendes, wegweisendes Projekt (besonders im kulturellen und politischen Bereich)
KulturSchule zu werden ist das Bekenntnis einer Schulgemeinschaft zu einem gewissen Profil. Erzeugt wird eine solche Profilierung durch Fokussierung und Konzentration auf einen Aspekt. In diesen Aspekt wird dann meist die Energie investiert, die zuvor in viele verschiedene andere Bereiche geflossen ist. Es handelt sich um eine Spezialisierung, also das Gegenteil von Diversifizierung. Das heißt: Eine Schulgemeinde entscheidet sich bewusst dazu, bestimmte Ziele und Herangehensweisen nicht mehr prioritär zu verfolgen. Profilierung bedeutet also Zuspitzung dadurch, dass bestimmte Aspekte nicht mehr als relevant eingestuft werden, sich von ihnen zuweilen also abgegrenzt wird.
Doch auch jeder Leuchtturm wirft Schatten. Und je höher ein Leuchtturm ist, desto größer ist er.

WENN PROFILIERUNG ZU ABGRENZUNG FÜHRT
Das Profil KulturSchule schafft also eine Grenze zwischen den derzeit 31 KulturSchulen und den „normalen“ Schulen. Diese Abgrenzung wirkt sich darauf aus, wie sich KulturSchulen und Nicht-KulturSchulen gegenseitig wahrnehmen:
KulturSchulen sagen mit ihrer Profilentscheidung also auch: „Ich sage mich von der normalen Schule los, ich möchte mit ihr nichts mehr zu tun haben.“ Das ist also eine klare Abkehr und in gewisser Weise auch Verurteilung aller Schulen, die nicht diesen Weg gehen wollen – oder können. Wären Schulen Menschen – und in gewisser Weise sind sie es, weil sie von uns getragen und gestaltet werden – müsste man das als Kränkung verstehen. Und so reagieren manche Schulen auch!
abgrenzen (schwaches Verb)
- von etwas durch eine Grenze abtrennen
- etwas, sich durch genaue Bestimmung von etwas, jemandem trennen, absetzen
- sich distanzieren, von jemandem, einer Sache absetzen
Synonyme: abrücken, sich lösen, sich lossagen, mit jemandem/etwas nichts mehr zu tun haben wollen
Quelle: duden.de
Elite oder Netzwerk? – Ist Kulturelle Bildung der DACIA unter den Schulprofilen: das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen?
Das Label „KulturSchule“ schafft einen geschlossenen Kreis von Schulen: In gewisser Weise handelt es sich dabei um einen elitären Zirkel, etwas, das mit dem Selbstverständnis und dem Bildungsziel von KulturSchulen eigentlich nicht vereinbar sein dürfte. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den mehrjährigen und recht hochschwelligen Zertifizierungsprozess als KulturSchule. So schaut das System KulturSchule also genau darauf, welche Schule „mitmachen“ darf und welche nicht, welche zu den Bildungsidealen und -zielen passt und welche nicht, wer in diesen geschlossenen Kreis aufgenommen wird und wer nicht. Das klingt schon sehr nach Elite – nur eben anders, als wir es oft assoziieren.
Elite, die (Substantiv, feminin)
- eine Auslese darstellende Gruppe von Menschen mit besonderer Befähigung, besonderen Qualitäten; die Besten, Führenden; Führungsschicht, -mannschaft
Synonyme: Auslese, Auswahl, die Besten, die oberen Zehntausend
Quelle: duden.de
KulturSchule – kein gymnasiales Profil?
Und so scheinen die Vorbehalte, Bedenken, Zweifel und Ressentiment gerade bei Gymnasien hoch, denn nur ca. ein Viertel aller hessischen KulturSchulen sind Gymnasien. Der größte Teil der KulturSchulen in Hessen besteht aus Gesamtschulen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Wahrnehmung des KulturSchul-Programms gymnasialer Schulleiter:innen als ein Profil für Gesamtschulen: Das erschwert es Gymnasien in ihrem Selbstverständnis – gerade in Ballungsräumen wie Frankfurt – sich dem anzunähern, weil man eigentlich darauf bedacht ist, sich von den Gesamtschulen zu distanzieren und abzugrenzen. Und das könnte durchaus auf den gesamten Bereich der Kulturellen Bildung als etwas „Gesamtschulmäßiges“ ausstrahlen. Ich bin aber davon überzeugt, dass Kulturelle Bildung in allen Schulformen vorkommen muss!

Kulturelle Bildung wächst in der Breite und nicht in der Tiefe
Das System KulturSchule schafft durch die Abgrenzung zu Nicht-KulturSchulen Konkurrenz – und dann wiederum als Reaktion eine noch stärkere Abgrenzung. Mit Sicherheit war das Leuchtturmprojekt KulturSchule eine wichtige Innovation: Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Strahlkraft dieses 17 Jahre alten Leuchtturms langsam nachlässt, die Schatten aber bleiben und damit größer als die Strahlkraft werden könnten.
Ich habe Angst, dass wir an einem Punkt angekommen sein könnten, an dem dieses Schulprofilentwicklungsprogramm die flächendeckende Ausbreitung der Idee der Kulturellen Bildung in Schulen beginnen könnte zu hemmen.
Unser Ziel sollte doch sein, möglichst viele Schulen von dem „Pilz“ der Kulturellen Bildung durchziehen zu lassen. Ein Pilzgeflecht wächst aber in die Breite – und nicht in die Tiefe. Daher sollten wir doch auch versuchen, Kulturelle Bildung in die Breite zu bringen und nicht wenige Schulen immer tiefer darin zu verankern.
Und wenn wir Schule anders denken?
- Was wäre, wenn Schulentwicklung nicht mehr als Kampf gegen Widerstände, sondern als gemeinsames Wachsen verstanden?
- Wie könnten wir kulturelle Bildung als verbindendes Element nutzen, um starre Strukturen zu lockern und neue Räume für Entwicklung zu schaffen?
- Was würde passieren, wenn wir nicht länger auf Zustimmung von oben warten, sondern einfach anfangen – im Kleinen, im Verborgenen, im Vertrauen auf Wirkung?
- Könnte eine Schule, die kulturelle Bildung lebt, nicht auch andere Entwicklungsprozesse beflügeln – etwa im Bereich Demokratiebildung, Nachhaltigkeit oder sozialem Lernen?
- Wie sähe eine Schule aus, in der sich nicht Profile gegenseitig verdrängen, sondern sich gegenseitig befruchten?
- Was würde sich verändern, wenn Schulentwicklung nicht mehr als Wettbewerb, sondern als kollektiver Prozess gedacht würde – getragen von Vielfalt, Kreativität und gegenseitigem Vertrauen?
- Und was wäre, wenn wir eines Tages feststellen: Die kulturelle Bildung hat längst begonnen zu wachsen – nicht als Leuchtturm, sondern als lebendiges Geflecht unter unseren Füßen?
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